Aktienresearch: Wie sich das Konsumentenverhalten verändert
Mark Ferguson
Wir lancieren eine neue Reihe von Kommentaren des Global-Research-Teams. Sie veranschaulichen die Erkenntnisse unserer Analysten, welche die langfristigen Auswirkungen des Coronavirus auf Sektoren und Unternehmen in der gesamten Weltwirtschaft betreffen. Dieser erste Artikel befasst sich mit der Veränderung der Verbraucherpräferenzen. Spätere Beiträge werden Trends in Bezug auf die Unternehmensresilienz und das Unternehmensverhalten sowie Fragen im Zusammenhang mit ESG (Umwelt, Soziales und Governance) und der Regierungspolitik beleuchten.
Während wir uns alle mit den Folgen des Coronavirus für unser Leben und unsere Arbeit auseinandersetzen, haben unsere globalen Research-Analysten in erster Linie die längerfristigen Auswirkungen auf Branchen und Unternehmen untersucht. Vieles wird davon abhängen, wann und wie die Pandemie endet, welches Ausmaß die Rezession annimmt, wie lange sie andauert und wie schnell sich die Wirtschaft wieder erholt. Obwohl die Pandemie wahrscheinlich einige neue Langzeittrends hervorbringen wird (z. B. Telemedizin), gehen wir davon aus, dass sie vor allem den bereits eingeleiteten Strukturwandel beschleunigen wird (u. a. durch die Zunahme des E-Commerce, die digitale Transformation und die Fabrikautomation). Innerhalb der Sektoren wird es Gewinner und Verlierer geben, und unsere Analysten konzentrieren sich darauf zu unterscheiden, welche Unternehmen Profiteure kurzfristiger Trends sein werden und welche Unternehmen eine langfristige Ertragskraft aufweisen können.
In diesem ersten Teil einer Reihe von Researchberichten beleuchten wir die Verlagerung der Verbraucherpräferenzen, wobei drei Trends im Fokus stehen:
- Arbeiten im Homeoffice, mit einer erhöhten Nachfrage nach Technologielösungen und schnellen Breitbandanschlüssen, aber einem geringeren Bedarf an Büroflächen und Geschäftsreisen
- Online-Alternativen mit einer zunehmenden Penetration des E-Commerce, der Verbreitung des Internetfernsehens und Diensten wie Telemedizin
- Höhere Sparrücklagen der Verbraucher, die möglicherweise die zyklischen Ausgaben und die Verwendung von Kreditkarten verringern und zugleich die Nachfrage nach Anlageverwaltung, Vermögensberatung und Vorsorgeprodukten steigern
Rückzug ins Homeoffice
Das vielleicht offensichtlichste Thema, das aus dieser Pandemie hervorgeht, ist der beschleunigte Trend zur Heimarbeit. Immer mehr Menschen und Unternehmen gewöhnen sich an die Tätigkeit außerhalb des Büros und an eine flexible Arbeitsgestaltung. Eine kürzlich durchgeführte CFO-Umfrage von Gartner ergab, dass 74 % der CFOs planen, mindestens 5 % der bislang vor Ort tätigen Angestellten dauerhaft auf Telearbeit umzustellen.
Man wird Technologielösungen brauchen, um diesen Trend zu ermöglichen. Wir glauben, dass sich der Trend zur öffentlichen Cloud letztendlich beschleunigen wird, sowohl bei Anwendungen als auch im Hinblick auf die Infrastruktur, da die Verfügbarkeit von Anwendungen an Bedeutung gewinnt und das Interesse an On-Premise-Lösungen nachlässt. Wir prognostizieren, dass die Durchdringungsrate öffentlicher Clouds in den nächsten acht Jahren von 20 % auf etwa 40 % steigen wird. Hochwertiges Breitband wird einen noch größeren Stellenwert einnehmen. Märkte und Länder, denen eine allgemein verfügbare, robuste Breitbandinfrastruktur fehlt, werden wahrscheinlich zunehmend unter Druck geraten, ihre Netze auszubauen. Infolgedessen könnten sich die Erträge einiger Breitbandanbieter verbessern, da die Nachfrage nach ihren Produkten viel schneller wächst als die Kosten für deren Bereitstellung. Hinzu kommt, dass die Beschäftigten weniger pendeln müssen und weiter von ihrem Arbeitsplatz entfernt wohnen können, wo Immobilien in der Regel günstiger sind. Daher werden sie sich möglicherweise für größere Häuser entscheiden. Wo das Angebot am Immobilienmarkt derzeit knapp ist, wie beispielsweise in weiten Teilen Großbritanniens, könnte der Homeoffice-Trend den Wohnungsbau ankurbeln.
Gleichzeitig dürfte die Nachfrage nach Büroflächen sinken. Dieser Trend hat in den letzten zehn Jahren stark zugenommen, da die Unternehmen nach dichteren Büroflächen gesucht haben, um ihre Kosten niedrig zu halten. Nach der Pandemie könnte dieses Szenario erheblich an Attraktivität verlieren, da die räumliche Nähe zu anderen Kollegen unerwünscht ist. Eine größere Flexibilität am Arbeitsplatz könnte derweil zu einer geringeren täglichen Belegung führen, sodass mehr Personal auf noch weniger Fläche untergebracht werden kann. Dies würde die Nachfrage nach Büroimmobilien weiter verringern. Das wäre natürlich eine Herausforderung für Büro-REITs, den Gewerbebau und verschiedene Bürodienstleister wie Catering- und Reinigungsunternehmen. Wir erwarten zudem einen Rückgang der Geschäftsreisen, da die Unternehmen erkennen, dass persönliche Besprechungen ohne weiteres mithilfe von Videokonferenzen stattfinden können, was während des Lockdowns ja durchaus der Fall war. In der Tat haben die Unternehmen dieses Thema in den jüngsten Telefonkonferenzen und Meetings bereits angesprochen.
Weniger Geschäftsreisen und mehr Heimarbeit werden die Ölnachfrage weiter verringern
ABBILDUNG 1: US-NACHFRAGE NACH BENZIN
Mehr Telearbeit und weniger Geschäftsreisen dürften auch den Trend zu einer strukturell niedrigeren Ölnachfrage beschleunigen, was sich unter anderem auf den Energie- und Transportsektor auswirkt. In Abbildung 1 ist die US-Benzinnachfrage nach der jeweiligen Quelle aufgeschlüsselt. Berufspendler machen ein Drittel der Nachfrage aus, auf Einkäufe entfallen 20 %. Weniger persönliche Besprechungen und häufigere Videokonferenzen werden die Nachfrage ebenfalls beeinflussen, da die Unternehmen für 12 % des Benzinbedarfs und 15 % des Kerosinbedarfs aufkommen.
Online-Alternativen für Produkte und Dienstleistungen
Der E-Commerce wird weltweit nach COVID-19 noch stärker verankert sein, mit entsprechenden Herausforderungen für Einzelhandels-REITs und rein stationäre Einzelhändler. Auch wenn es noch sehr früh ist, signalisieren die von uns erfassten Echtzeitdaten ein sehr stabiles E-Commerce-Wachstum, obwohl zuletzt mehr stationäre Einzelhandelsstandorte eröffnet wurden. Dies ist ein weiterer Beleg dafür, dass sich dieser strukturelle Trend beschleunigt hat.
Die Amazons dieser Welt profitieren natürlich von einem erhöhten E-Commerce, aber das gilt auch für die Multichannel-Einzelhändler, die bereits über ein reges Internetgeschäft verfügten. Interessanterweise haben die Internetangebote von Multichannel-Händlern vielleicht sogar noch mehr profitiert als Amazon, da die Verbraucher nach bestimmten Produkten suchten und bei den Einzelhändlern im Internet manchmal bessere Lieferzeiten fanden als bei Amazon. Kleinere Einzelhändler mit einer minimalen Online-Präsenz haben es derzeit schwer, und das wird auch so bleiben.
Der zunehmende E-Commerce beschleunigt im Allgemeinen den langfristigen Übergang von Bargeld zu kartenbasierten Zahlungen weltweit. Dies kommt insbesondere den meisten Zahlungsanbietern zugute, vor allem denjenigen, die besonders stark im Online-Handel engagiert sind (z. B. PayPal).
Die Verbreitung des Internetfernsehens war schon lange vor der Pandemie ein dauerhafter Trend, der sich in den meisten Märkten aus unserer Sicht noch im Anfangsstadium befindet. Wir prognostizieren, dass der klassische Fernsehkonsum in den nächsten fünf Jahren mit einer annualisierten Rate von 7 % nachlassen wird, während das Streaming mit einer annualisierten Rate von 10 % wachsen dürfte (Abbildung 2). Der gleiche Trend beschleunigt derzeit den Rückgang der traditionellen Werbung, da das Fernsehpublikum schrumpft, während die digitale Werbung weiterhin schnell wächst.
Das Internetfernsehen steckt in den meisten Märkten noch in den Anfängen
ABBILDUNG 2: VIDEOKONSUM
Nach Ausbruch des Coronavirus nahm der Einsatz von Telemedizin drastisch zu. Wir gehen davon aus, dass man diese neuen Gewohnheiten zum Teil beibehalten wird. Online-Bildung ist ein weiterer Teleservice, der aufgrund der Pandemie zunehmen könnte, wenn die Verbraucher das Angebot im „E-Learning“ stärker wahrnehmen und entsprechende Software entwickelt wird, um den Prozess zu vereinfachen. Dieser Trend ist in Entwicklungsländern eventuell deutlicher ausgeprägt, wo die Lehrmittel vergleichsweise weniger fortgeschritten sind als in Industrieländern.
Höhere Sparquoten, größere Risikoscheu
Die finanzielle Lage der Konsumenten war vor der Krise recht gut. Die Sparquote lag bei rund 8 %, nachdem sie im Vorfeld der globalen Finanzkrise nicht einmal 2 % betrug (Abbildung 3). Die Sparquote der US-Haushalte hat sich in den letzten Monaten signifikant erhöht, auf 13 % im März und 33 % im April. Es ist noch viel zu früh, um abschätzen zu können, ob die Corona-Krise das Verbraucherverhalten dauerhaft verändern wird. Wir erwarten jedoch eine generelle Zunahme der Risikoscheu, eine stärkere Tendenz zum Sparen und ein differenzierteres Ausgabeverhalten.
Falls es zu einem langfristigen Anstieg der Sparquoten kommt, sind wir der Ansicht, dass die zyklischen Konsumausgaben und die Kreditkartenumsätze sinken könnten, während die Nachfrage nach Anlageverwaltern, Vermögensberatern und Vorsorgeprodukten steigen dürfte.
Wird der Anstieg der Sparquoten von Dauer sein? Das lässt sich noch nicht mit Gewissheit sagen.
ABBILDUNG 3: SPARQUOTE DER PRIVATHAUSHALTE
Fazit
Wie wir bereits erläutert haben, sind wir der Meinung, dass die Pandemie in erster Linie bestimmte strukturelle Veränderungen intensivieren wird, die bereits begonnen haben. Zugleich wird sie auch einige neue Trends hervorbringen. Die langfristigen Auswirkungen, insbesondere die neu entstehenden Trends, hängen zum Teil davon ab, welches Ausmaß die Rezession annimmt, wie die Erholung verläuft und wie schnell sich neue Gewohnheiten bilden. Um die größtmöglichen Erträge für die Anleger zu gewährleisten, konzentrieren wir uns weiterhin darauf, zwischen den Gewinnern und Verlierern zu differenzieren und die Unternehmen zu ermitteln, die von diesen langfristigen strukturellen Veränderungen profitieren werden.