Joe Bidens Ziel der CO2-Neutralität wird die US-Energieunternehmen vor größere Herausforderungen stellen, auch in Bezug auf ihre Verbindlichkeiten. Gleichzeitig bietet es Chancen für europäische Versorger.
Wie ein Autofahrer, dem klar wird, dass er (seit vier Jahren) in der falschen Richtung auf der Autobahn unterwegs ist, hat Joe Biden eine abrupte Kehrtwende in der US-Klimapolitik eingeleitet.
An seinem ersten Tag als Präsident besiegelte Biden mit seiner Unterschrift den Wiedereintritt der USA in das internationale Pariser Klimaschutzabkommen. Darüber hinaus verpflichtete er das Land zur CO2-Neutralität bis 2050. Präsident Biden äußerte sogar den Wunsch, dass die USA dieses Ziel im Idealfall schon bis 2035 erreichen sollten, obwohl wir dies für unwahrscheinlich halten.
Der Umwelteifer des Präsidenten wird die Dekarbonisierung der US-Versorger sicherlich beflügeln. Doch während die US-Regierung gerade erst die Kehrtwende vollzogen hat, gehen die Regierungen vieler Bundesstaaten und etliche Versorgungsunternehmen schon seit vielen Jahren mit gutem Beispiel voran und sind dabei nie von ihrem Kurs zur Dekarbonisierung abgewichen. Nicht weniger als 38 US-Bundesstaaten verfolgen Ziele zur CO2-Reduktion, darunter die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung. Diese Tendenz zeigt sich in den landesweiten Zahlen. Im Jahr 2010 stammten 44 % des US-Stroms aus Kohle; bis 2020 war dieser Wert auf 20 % eingebrochen. Der Anteil erneuerbarer Energieträger hat sich von 10 % auf 20 % verdoppelt. Wir gehen davon aus, dass er bis 2040 fast 50 % erreichen wird.
Eine Herausforderung für Anleiheninvestoren
Als Investoren begrüßen wir die Dekarbonisierung: Die globale Erwärmung wird den Wert eines extrem breiten Spektrums von Vermögenswerten beeinträchtigen. Die Ökologisierung der US-Energieerzeugung stellt aber auch eine Herausforderung für die Versorgungsunternehmen dar. Wenn ein Energieversorger ein Kraftwerk vorzeitig stilllegt, weil es fossile Brennstoffe verfeuert, wird dieses Kraftwerk zu einem „gestrandeten Vermögenswert“, sofern es ausgemustert wird, bevor sein Wert in der Bilanz vollständig abgeschrieben ist. Ein solcher Stranded Asset ist ein Vermögenswert, dessen Wert vorzeitig abgeschrieben werden muss, da sich die öffentlichen und regulatorischen Prioritäten geändert haben. Was Anleihen betrifft, bleibt nach der Stilllegung von Vermögenswerten weniger Cashflow übrig, um die Kupon- und Tilgungszahlungen zu leisten.
Immerhin gibt es Lösungen für das Risiko gestrandeter Vermögenswerte. Zum Beispiel erlauben die Aufsichtsbehörden einiger Bundesstaaten, dass die Versorgungsunternehmen nicht abgeschriebene Salden im Zusammenhang mit ihren Kraftwerken verbriefen. Die Verbriefung erfolgt durch die Emission außerbilanzieller Anleihen, die durch bestimmte Einnahmen aus Kundenrechnungen besichert sind, die von den Aufsichtsbehörden bzw. staatlichen Gesetzgebern genehmigt wurden. Um potenzielle Probleme und die zulässigen Lösungen nachzuvollziehen, verfolgen wir die Regulierungsverfahren von 51 Aufsichtsbehörden – eine für jeden Bundesstaat sowie die Federal Energy Regulatory Commission auf US-Bundesebene.
Abb.1: Welche Auswirkungen hat die globale Klimaschutzagenda auf unsere Bewertung der Anleihensektoren und insbesondere unter Berücksichtigung gestandener Vermögenswerte?
Stillgelegte und neue US-Erzeugungskapazitäten
Quelle: EIA, Lazard, Eurostat, METI, BP Statistical, J.P. Morgan Asset Management. Die Erzeugungskapazität für 2020 ist eine Prognose auf Basis der Daten von Juli 2020. Die Daten basieren auf der Verfügbarkeit zum 31. Mai 2021.
Der Ökostrom-Ausbau in den USA eröffnet außerdem neue Anlagechancen. Viele europäische Versorger verfügen bereits über eine besondere Expertise im Bereich der grünen Energie, da sich die Unternehmen und nationalen Regierungen frühzeitig auf erneuerbare Energieträger konzentriert haben. Eine disziplinierte Expansion in Märkte mit förderlicher Energiepolitik könnte die Anleihen dieser Unternehmen entsprechend attraktiver machen. Nehmen Sie zum Beispiel Iberdrola in Spanien. Der Konzern besitzt beträchtliche Vermögenswerte für Photovoltaik, Windkraft und grünen Wasserstoff – und eine große US-Präsenz.
Fazit
Die US-Versorger haben längst den grünen Weg eingeschlagen. Während Präsident Bidens Mission, die USA in ein klimaneutrales Land zu verwandeln, diese Entwicklung beschleunigen wird, ist das daraus resultierende erhöhte Risiko für die Verbindlichkeiten der US-Versorger überschaubar. Auch europäische Versorger mit dem erforderlichen Know-how, um den USA bei der Umsetzung ihrer CO2-Reduktionsziele zu helfen, erscheinen als Emittenten umso attraktiver.
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