Der US-Arbeitsmarkt verlangsamt sich deutlich, aber die Rufe nach einer drohenden Rezession erscheinen unserer Meinung nach übertrieben.
Nach der Veröffentlichung der Beschäftigtenzahlen vom Juli kamen erneut Sorgen über den Zustand des US-Arbeitsmarktes und eine mögliche Rezession in den USA auf. Ein zentraler Aspekt des Berichts war ein unerwarteter Anstieg der Arbeitslosenquote, der als Auslöser für die „Sahm-Regel“ gewertet werden konnte. Diese war in der Vergangenheit ein zuverlässiger Indikator für wirtschaftliche Abkühlungen in den USA.
Wir sind jedoch der Ansicht, dass die aktuelle Lage am Arbeitsmarkt in den USA etwas weniger beunruhigend ist als bei früheren Überschreitungen der Schwelle, die die Sahm-Regel auslöst. So sind die Anstiege der Arbeitslosenquote bisher eher auf eine höhere Erwerbsbeteiligung und Immigration als auf Entlassungen zurückzuführen. Hinzu kommt, dass es derzeit in anderen Bereichen der Wirtschaft weniger Warnsignale für eine Rezession gibt.
Obwohl am US-Arbeitsmarkt eindeutig eine Abkühlung zu beobachten ist, müsste zunächst auch eine weitere Verschlechterung beim Personalabbau oder bei den Beschäftigungsdaten zu beobachten sein, bevor wir uns ernsthaft Sorgen über eine Rezession in den USA machen.
Was besagt die Sahm-Regel?
Die Sahm-Regel vergleicht den jeweils aktuellen gleitenden Drei-Monats-Durchschnitt der Arbeitslosenquote mit deren Zwölf-Monats-Tief. In der Vergangenheit befand sich die US-Wirtschaft jedes Mal, wenn der jeweils aktuelle Wert 0,5 Prozentpunkte oder mehr über dem Zwölf-Monats-Tief lag, in bzw. kurz vor einer Rezession.
Die Logik hinter der Sahm-Regel ist, dass die Arbeitslosenzahlen tendenziell zunächst einmal allmählich nach oben klettern, bevor es zu einem deutlichen Anstieg kommt. Das heißt, dass relativ kleine Anstiege der Arbeitslosenquote über einen kurzen Zeitraum auf größere Anstiege in der Zukunft hindeuten können, da die arbeitslos gewordenen Personen ihre Ausgaben zurückfahren, was weitere Entlassungen herbeiführt.
Beschäftigtenzahlen vom Juli als Auslöser für Sorgen um Arbeitsmarkt
Die Schwelle, die als Auslöser für die Sahm-Regel gilt, wurde angesichts der Beschäftigtenzahlen aus dem Juli überschritten, als die Arbeitslosenquote auf 4,3% stieg. Durch diesen Anstieg lag der Drei-Monats-Durchschnitt mehr als 0,5 Prozentpunkte über dem Zwölf-Monats-Tief von 3,6%.
Es ist wichtig, zu beachten, dass es sich bei der Sahm-Regel um eine empirische und nicht um eine wirtschaftliche Regelmäßigkeit handelt. Dennoch wurde diese Regel während oder vor jeder US-Rezession seit den 1970er-Jahren ausgelöst und hat zudem in der Vergangenheit noch nicht zu einem Fehlalarm geführt.
Es gibt jedoch Störfaktoren
Es gibt Grund zur Annahme, dass sich der US-Arbeitsmarkt zwar abkühlt, die Lage jedoch wahrscheinlich nicht so besorgniserregend ist, wie die Sahm-Regel vermuten lässt.
Der jüngste Anstieg der US-Arbeitslosenquote ist eher auf ein gestiegenes Arbeitskräfteangebot als auf eine höhere Zahl an Entlassungen zurückzuführen – denn die Entlassungsquote ist nach wie vor historisch niedrig. Die US-Wirtschaft schafft weiterhin Arbeitsplätze, allerdings nicht schnell genug, um mit der Zahl der Menschen Schritt zu halten, die neu auf den Arbeitsmarkt eintreten.
Die erwerbstätige Bevölkerung in den USA ist aufgrund von zwei Faktoren gewachsen, nämlich durch eine steigende Erwerbsbeteiligung und durch einen Anstieg der Immigration. Die Erwerbsbeteiligung ist auf einem Niveau, das zuletzt 2001 verzeichnet wurde. Zudem führt ein Anstieg der Einwanderungszahlen nach dem Ende der Pandemie dazu, dass jeden Monat eine bedeutsame Zahl an Arbeitskräften zur erwerbstätigen Bevölkerung hinzukommt.
Kurzfristig ist eine steigende Erwerbsbeteiligung möglicherweise nicht immer positiv – sie kann manchmal darauf hindeuten, dass ein Teil der Bevölkerung aufgrund von wirtschaftlichem Druck dazu „gezwungen“ ist, (wieder) Teil der erwerbstätigen Bevölkerung zu werden. Ein Anstieg der Erwerbsbeteiligung kann daher manchmal ein Zeichen von Stress sein.
Aktuell scheint dies jedoch nicht der Fall zu sein. Das Lohnwachstum in den USA ist nach wie vor hoch, wobei die Kaufkraft der Verbraucherinnen und Verbraucher zunimmt, da die Lohnzuwächse über der Inflation liegen. Die niedrigsten Einkommensquintile scheinen einem gewissen Druck ausgesetzt zu sein, wie man an den Daten zu Einlagen und Kreditkartenschulden erkennen kann. Im Großen und Ganzen wirkt es jedoch so, als seien die Verbraucherinnen und Verbraucher in den USA resilient – wie auch Claudia Sahm, die Erfinderin der Sahm-Regel, selbst angemerkt hat.
Vielmehr scheint die höhere Beteiligung von anderen Faktoren abhängig zu sein. Wenn die US-Wirtschaft wächst, führt dies tendenziell dazu, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch die attraktiven Löhne wieder zurück in die erwerbstätige Bevölkerung gelockt werden. Dies scheint auch aktuell der Fall zu sein. Auch der Frauenanteil unter den Erwerbstätigen ist derzeit auf einem historischen Höchststand, was möglicherweise mit der inzwischen größeren Flexibilität am Arbeitsplatz zu tun hat. Hierbei handelt es sich um positive Gründe für eine Zunahme der Anzahl der Arbeitskräfte.
Neben der steigenden Erwerbsbeteiligung hat auch ein Anstieg der Einwanderung dazu geführt, dass es in den USA mehr Arbeitskräfte gibt. 2023 machten im Ausland geborene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fast die Hälfte des Anstiegs bei den US-Arbeitskräftezahlen aus und auch 2024 befinden sich die Einwanderungszahlen auf einem soliden Niveau.
Der Arbeitsmarkt kühlt sich ab, kollabiert jedoch nicht
In oder vor früheren Rezessionen in den USA war ein Anstieg der Arbeitskräftezahlen zu beobachten. Folglich ist das aktuelle Wachstum der Erwerbsbevölkerung allein betrachtet nicht ausreichend, um das von der Sahm-Regel ausgelöste Signal zu neutralisieren. Darüber hinaus gibt es klare Hinweise darauf, dass sich der US-Arbeitsmarkt abkühlt: Der Anstieg der Beschäftigtenzahl hat sich in den letzten Quartalen verlangsamt und das Lohnwachstum ist zwar erhöht, liegt aber inzwischen deutlich unter den Höchstständen.
Es scheint jedoch unwahrscheinlich, dass sich der US-Arbeitsmarkt aktuell schon in einer Rezession befindet. Der Personalabbau ist nach wie vor verhalten und die Kräfte, die den aktuellen Anstieg der erwerbstätigen Bevölkerung vorantreiben, scheinen recht positiver Natur zu sein.
Fazit
In der Vergangenheit hat sich die Sahm-Regel als gute Heuristik erwiesen, um zu beurteilen, ob sich die US-Wirtschaft in einer Rezession befindet. Es gibt jedoch Grund zur Annahme, dass das Auslösen dieser Regel aktuell etwas weniger beunruhigend sein könnte.
Am US-Arbeitsmarkt ist eindeutig eine Abkühlung zu beobachten, Warnungen vor einer unmittelbar bevorstehenden Rezession sind unserer Ansicht nach jedoch übertrieben. Die aktuellen Anstiege bei den Arbeitslosenzahlen sind dadurch begründet, dass das Arbeitskräfteangebot schneller wächst, als neue Arbeitsplätze hinzukommen. Entscheidend ist, dass die Gründe für diesen Anstieg des Arbeitskräfteangebots positiv erscheinen. Unser Basisszenario für die USA besteht derzeit nach wie vor in einer Art „weichen Landung“, bei der sich das Wachstum abkühlt, aber nicht kollabiert.