Global Equity Views Q4 2020
Themen und Auswirkungen der vierteljährlichen Strategiesitzung für globale Aktien
Paul Quinsee
In Kürze
- Trotz der anhaltenden COVID-19-Pandemie hat die Erwartung einer raschen Erholung und einer lockeren Geldpolitik die Märkte beflügelt. Der Aufschwung am Aktienmarkt war beeindruckend, wenn auch uneinheitlich, wobei sich der Enthusiasmus für die Technologiegiganten weiter verstärkte.
- Unsere Portfoliomanager sind der Meinung, dass ein großer Teil der Markterholung bereits hinter uns liegt, und nur wenige erwarten weiterhin überdurchschnittliche Erträge. Angesichts der äußerst unterstützenden Geldpolitik sowie der Hoffnungen und Erwartungen an eine medizinische Lösung für COVID-19, fällt es jedoch schwer, allzu vorsichtig zu sein. Für unser Team geht es dabei allerdings in erster Linie um die Aktienauswahl und weniger um die Marktrichtung.
- Die Bewertungen variieren innerhalb der Märkte enorm. Wir sehen gute Ertrangschancen bei einem recht breiten Spektrum von Aktien. Denn die wahrgenommenen Gewinner sind inzwischen sehr teuer, auch wenn sie weiterhin von einem starken Wachstum profitieren. Deshalb sollten Anleger aus unserer Sicht auf ein ausgewogenes Portfolio achten. Es gilt, nach Gelegenheiten in günstiger bewerteten Unternehmen suchen, denen eine Erholung der wirtschaftlichen Aktivität zugutekommen dürfte.
Bestandsaufnahme
Der Kampf gegen das COVID-19-Virus ist noch lange nicht vorbei, aber der einsetzende Wirtschaftsaufschwung beruhigt die Anleger, zumal er durch außergewöhnlich niedrige Zinssätze begünstigt wird. Dank der stabileren Gewinnprognosen haben sich die Märkte weiter erholt. Nach einer drastischen Kürzung unserer globalen Gewinnerwartungen um 30 % für dieses Jahr, senkt unser Researchteam die kurzfristigen Gewinnprognosen mittlerweile nicht mehr und hat zuletzt sogar einige Aufwärtskorrekturen vorgenommen. Insgesamt entsprechen unsere Prognosen für 2021 in etwa den Werten vor der Pandemie für 2019. Unsere langfristige „normalisierte“ Prognose, die ein zentrales Element unseres Anlageprozesses ist, liegt jedoch rund 10 % unter Vorkrisenniveau. Auch wenn regionale Nuancen in der Erholung zu erkennen sind, bleiben die Unterschiede zwischen den Branchen weitaus bedeutsamer – um nicht zu sagen extrem.
Im Energiesektor sind die Erwartungen am stärksten eingebrochen. Unsere langfristigen Prognosen sind über 40 % niedriger als im Januar, und die kurzfristige Rentabilität ist im Wesentlichen verschwunden. Die Energieunternehmen stehen vor enormen Herausforderungen, die dem Markt kaum entgangen sind
– der Sektor hat in allen von uns untersuchten Zeiträumen die schlechtesten Erträge erzielt. Die kurzfristige Rentabilität des Finanzsektors ist ebenfalls stark gesunken und macht weltweit fast ein Viertel unserer gesamten Kürzungen für dieses Jahr aus. Den Technologieunternehmen, Pharmafirmen und vielen Basiskonsumgüterwerten scheint der heftige Konjunkturabschwung dieses Jahr dagegen kaum etwas anzuhaben, zumal sich die langfristigen strukturellen Rentabilitätstreiber unvermindert stark zeigen.
Die Bewertungen am Aktienmarkt gehen bereits von einer deutlichen Erholung der Gewinne aus und sind damit natürlich weniger attraktiv als noch im März, aber auch noch nicht besonders angespannt. Bei Vergleichen zwischen Aktien und Anleihen schneiden Aktien nach wie vor besser ab. Im Großen und Ganzen erwarten wir vom jetzigen Niveau aus aber eher durchschnittliche als spektakuläre Erträge.
Innerhalb der Märkte ist das Bild komplexer. Die Prämie für eine Investition in die besten Wachstumsunternehmen ist unverändert hoch, während unbeliebte Substanzwerte mit hartnäckig hohen Abschlägen gehandelt werden. Nach allen bekannten Maßstäben war es ein historisch schwieriges Jahr für Value-Aktien. Derweil liegt das mittlere Forward-KGV im wachstumsstärksten Quintil der Unternehmen weltweit nun bei 38, ein Niveau, das zuletzt Anfang 2000 erreicht wurde (ABBILDUNG 1). Die wachstumsstärksten Unternehmen wuchsen damals ähnlich schnell wie heute, bewegten sich jedoch in einem ganz anderen Zinsumfeld. Die 10-jährige US-Staatsanleihe notiert aktuell mit einer Rendite von etwa 80 Basispunkten (Bp.), verglichen mit über 6 % zur Jahrtausendwende. Bei Aktien mit hohen Bewertungskennzahlen und einer langen Duration hat das eine große Bedeutung. Steht den Anlegern, die vom Wachstumsnarrativ fasziniert sind, ein ähnliches Schicksal bevor wie im Jahr 2000–01, als der Nasdaq-Index 80 % einbüßte? Oder sind die strukturellen Kräfte stark genug, um die Wertentwicklung der Wachstumsaktien in den kommenden Jahren zu stützen? Dies ist ein Thema lebhafter Debatten.
Die Prämie für eine Investition in die besten Wachstumsunternehmen ist unverändert hoch
ABB. 1: FORWARD-KGV NACH FAKTOR

Quelle: FactSet, IBES, J.P. Morgan Asset Management. Die Grafik zeigt das mittlere Forward-KGV des oberen Quintils für jeden Faktor. Die Kurs-Gewinn-Verhältnisse sind gleichgewichtet und basieren auf dem von IBES prognostizierten Gewinn je Aktie für die nächsten 12 Monate. Der Value-Faktor basiert auf den Gewinnen und Free-Cashflow-Renditen; der Qualitätsfaktor basiert auf Rentabilität, Kapitaldisziplin und Ertragsqualität; der Wachstumsfaktor basiert auf dem prognostizierten Gewinnwachstum für die nächsten 12 Monate und die GJ3/GJ2 anhand der IBES- Konsensschätzungen; der Risikofaktor basiert auf Volatilität und Beta und der Marktfaktor entspricht dem KGV-Median des Anlageuniversums. Das Gesamtuniversum ist das Behavioral Finance Global All-Cap Anlageuniversum von Aktien aus den Industrie- und Schwellenländern und besteht aus ca. 4.000 Unternehmen. Dargestellt ist der Zeitraum vom 31.12.1994 bis 30.09.2020. Die gestrichelte Linie gibt den Median des Gesamtmarkts seit 1994 an. Die bisherige Wertentwicklung ist kein verlässlicher Indikator für aktuelle und künftige Ergebnisse. Stand der Daten: 30. September 2020.
Ein Beispiel hilft vielleicht, diese Kontroverse zu veranschaulichen: der Vergleich von Tesla mit den sechs größten traditionellen Autoherstellern (Toyota, Volkswagen, BMW, Daimler, General Motors und Ford, gemessen an der Marktkapitalisierung). Nach einem fünffachen Anstieg in diesem Jahr hat Tesla ungefähr den gleichen Marktwert wie die großen sechs Hersteller zusammen (ABBILDUNG 2). Letztere werden 2020 insgesamt 90 Mal so viele Autos produzieren, den 45-fachen Umsatz erwirtschaften und 40 Mal so viel in Forschung und Entwicklung investieren. Welche ist die bessere Investition? Die Bewertungskennzahlen auf Basis der aktuellen Geschäftsentwicklung legen nahe, dass die Erwartungen an Tesla, gelinde gesagt, sehr hoch sind. Viele verweisen jedoch auf die extrem erfolgreichen Disruptoren in anderen Branchen und das enorme langfristige Potenzial von Tesla, Marktanteile zu erobern — zumal die großen Sechs in den letzten Jahren Mühe hatten, einen Shareholder Value zu schaffen. Wir sehen die Vorzüge auf beiden Seiten und gute Gründe, um einen ausgewogenen Ansatz für Growth- und Value-Anlagen beizubehalten.

Chancen
Obwohl unsere Investoren weniger Potenzial für Marktgewinne sehen, bieten sich weiterhin gute Möglichkeiten bei der Aktienselektion. Viele unserer US-Fondsmanager sehen beispielsweise Chancen in angeschlagenen zyklischen Konsumgüterunternehmen, die nächstes Jahr von einer Erholung der Nachfrage profitieren dürften. Auch sank die weltweite Autoproduktion um 20 %, die Lagerbestände sind jetzt sehr niedrig und unsere Analysten erwarten eine deutliche Erholung der Produktion. Wir investieren in Autozulieferer, Halbleiterhersteller und Grundstoffunternehmen, die auf einen Aufschwung in der Automobilbranche ausgerichtet sind. Wohnimmobilien sind ein weiteres Thema in unseren Portfolios. Der Sektor profitiert sowohl von zyklischen Trends (wirtschaftliche Erholung) als auch von langfristigen Entwicklungen (Hauskäufe der Millennials). Hinzu kommen das geringe Angebot und die sehr niedrigen Hypothekenzinsen.
Außerhalb der USA entdecken wir weiterhin attraktive Investments in Bereichen mit langfristigem Wachstum, obwohl auch hier zum Teil sehr starke Aktienmarktgewinne erzielt wurden. In Europa findet unser Team Unternehmen für erneuerbare Energien besonders attraktiv, da die Umweltgesetze Investitionen fördern und die weitaus niedrigeren Preise für Solar- und Windkraft eine höhere Nachfrage erzeugen. Da dieser Bereich in den letzten Jahren starke Erträge erzielt hat, sind einige unserer Manager inzwischen skeptisch, was die kurzfristige Nachhaltigkeit der Outperformance angeht. Wir glauben jedoch, dass diese Unternehmen auf lange Sicht weiterhin robuste Erträge erwirtschaften können. Auch in China werden Solarenergie und Elektrofahrzeuge immer wirtschaftlicher, da die staatlichen Subventionen die Kosten senken und die Nachfrage stimulieren. Eine neu konsolidierte Branche sollte die Eigenkapitalrenditen weiter steigern.
Darüber hinaus betrachten wir japanische Aktien als generell unterbewertete und oft übersehene Chance. Die Dividenden haben sich in den letzten zwanzig Jahren vervierfacht, ein Indiz für die Verlagerung des Unternehmensfokus auf die Aktionärserträge.
Robustere Bilanzen und Gewinnmargen, die sich im letzten Jahrzehnt den europäischen Aktien angenähert haben, bieten eine Sicherheitsmarge, die bei stetig steigenden Ausschüttungen weiterhin für höhere Dividenden sorgen dürfte. Unter dem Strich sind japanische Aktien damit eine attraktive Ertragsquelle für Investoren.
Einschätzungen aus unserem Global Equity Investors Quarterly, Oktober 2020

Risiken
Natürlich betrachten unsere Portfoliomanager das Coronavirus weiterhin als das größte Risiko und den größten Unsicherheitsfaktor für die wirtschaftliche Aktivität und die Aktienmärkte weltweit. Die Gesellschaft mag besser gerüstet sein als zu Beginn dieses Jahres, um höhere Fallzahlen zu bewältigen, und die Märkte haben zweifellos damit begonnen, den Weg zur Erholung einzupreisen. Ein weiterer starker Anstieg der Infektionen könnte jedoch zu neuen Einschränkungen der Wirtschaftstätigkeit führen und damit auch die Aktienmärkte belasten, die inzwischen wieder höher bewertet sind.
Für viele unserer Investoren wäre eine starke Rotation in die zyklisch am meisten geschwächten Unternehmen die größte Herausforderung für eine Outperformance gegenüber den Märkten. Die Investition in schneller wachsende Unternehmen von höherer Qualität hat über einen mehrjährigen Zeitraum und insbesondere in den letzten zwölf Monaten sehr gut funktioniert. Uns ist jedoch klar, dass die Bewertungsunterschiede zwischen den billigsten und teuersten Unternehmen inzwischen nach allen bisherigen Standards extreme Ausmaße annehmen. Ein größeres Vertrauen in die wirtschaftliche Erholung würde wahrscheinlich zumindest eine vorübergehende Belebung in stärker betroffenen Sektoren begünstigen, und viele unserer Portfoliomanager verfolgen in der Kapitalallokation einen ausgewogenen Ansatz, da sie sich der Chancen für eine Erholung der Value-Aktien bewusst sind.