Europa auf dem Standstreifen
Dem „alten Kontinent“ droht ein Bedeutungsverlust. Regulierung und höhere Energiekosten machen vielen Unternehmen das Leben schwer
Seit der Eurokrise scheint Europa den Anschluss an die USA und die schnell wachsenden Volkswirtschaften Asiens zu verlieren. Auch in Sachen technologischer Wandel und künstliche Intelligenz befindet sich Europa im weltweiten Vergleich nicht auf der Überholspur, sondern eher auf dem Standstreifen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU ist auf US-Dollarbasis von 2013 bis 2023 um 20 Prozent gestiegen, während die US-Wirtschaft über den gleichen Zeitraum ein Wachstum von 60 Prozent erreicht hat.
Noch im Frühjahr war die Hoffnung groß, dass Europa zumindest kurzfristig die Wachstumslücke zu den USA schließen könnte. Die Ausgangslage war vielversprechend. Steigende Reallöhne verkündeten das Ende der Kaufkraftkrise und der Stimmungsindikator des verarbeitenden Gewerbes begann sich von den Tiefständen des letzten Herbstes langsam zu erholen. Doch in den letzten Monaten trübt sich die Stimmung in der Industrie wieder ein und gipfelte kürzlich in der Ankündigung von VW, die Schließung von zwei Automobilwerken Deutschland in Erwägung zu ziehen. Wie lässt sich die anhaltende Schwäche der europäischen Industrie erklären?
Auf der einen Seite sind es globale Faktoren, die auf die Verwerfungen der Pandemie zurückzuführen sind. Das Ende der Corona-Maßnahmen hat zu einer kräftigen Verschiebung der Konsumpräferenz zu Dienstleistungen geführt, weshalb das verarbeitende Gewerbe seit 2022 stagniert. Doch es gibt in Europa auch hausgemachte Probleme, die die Konkurrenzfähigkeit ganzer Industriezweige massiv belasten. Energiekosten, Regulierung und CO2-Bepreisung sind die drei maßgeblichen Faktoren in diesem Kontext. Die energieintensive europäische Industrie leidet unter den substanziell höheren Energiekosten gerade im Vergleich zu den USA. Der europäische Gaspreis pro Megawattstunde liegt beispielsweise trotz jüngster Beruhigung immer noch um das Fünffache höher als der US-Preis. Schuld hat nicht nur der Krieg in der Ukraine, sondern auch die der Entscheidung zahlreicher europäischer Staaten, aus der Atomenergie auszusteigen und das Fracking aus Gründen des Umwelt- und Gesundheitsschutzes nicht zu erlauben.
Die im internationalen Vergleich hohe Bepreisung von CO2 in der EU ist ein weiterer Belastungsfaktor. Der Preis für die Tonne CO2-Äquivalent liegt aktuell 65 USD, während die koreanische und chinesische Konkurrenz nur sechs USD respektive 10 USD bezahlen muss. Die USA haben bisher noch keine CO2-Bepreisung eingeführt. So verwundert es eben nicht, dass die Auslagerung von Produktionskapazitäten nach Nordamerika und Asien ganz oben auf der Agenda energieintensiver europäischer Unternehmen steht.
Die Automobilindustrie ist zusätzlich noch durch die rigorose Regulierung der CO2-Emissionen betroffen. Die sehr ambitionierten Grenzwerte der EU für CO2-Emissionen bei Neuwagen stellt die Automobilhersteller mit einem hohen Anteil an Verbrennermotoren an den Neuzulassungen vor große Herausforderungen. Wenn der Absatz von Elektrofahrzeugen bis Ende 2025 nicht signifikant erhöht wird, drohen Milliardenstrafzahlungen an die EU.
Die Entwicklung der Marktkapitalisierung und der Ertragskraft europäischer Unternehmen im globalen Vergleich ist deshalb Spiegelbild der makroökonomischen Entwicklung und ein weiteres Indiz für den schleichenden wirtschaftlichen Bedeutungsverlust des Kontinents. In den letzten 10 Jahren stiegen die Gewinne der US-Unternehmen im S&P 500 um über 115 Prozent, während Europa nur ein Wachstum von 40 Prozent verzeichnen konnten. Die mangelnde Präsenz in neuen Technologien und die hausgemachten Standortverschlechterung tragen zu der für uns Europäer unerfreulichen Entwicklung bei. Doch eine Intensivierung der Technologieförderung und eine maßvollere Regulierung können in den kommenden Jahren Europa vom Standstreifen wieder auf die Überholspur bringen. Dennoch bietet die Region für Investoren zahlreiche Unternehmen, die aufgrund der Branchenzugehörigkeit oder durch ihre internationale Ausrichtung weniger von den Herausforderungen der heimischen Industrie betroffen sind und eine exzellente Zukunftsperspektive aufweisen - und das oft zu einer sehr viel günstigeren Bewertungen als die vergleichbaren Stars aus dem US-Aktienmarkt. Titelselektion bleibt deshalb in Europa Trumpf.
Preise in Emissionshandelssystemen
USD pro Tonne CO2-Äquivalent
Tilmann Galler ist globaler Kapitalmarktstratege bei
J.P. Morgan Asset Management in Frankfurt
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