In den letzten Jahren sprach wenig für eine Investition in chinesische Aktien. Der Markt ist seit seinem Höchststand Anfang 2021 stark gefallen, da die Konjunkturflaute nach der Pandemie und der Einbruch des Immobilienmarktes ihre Spuren hinterlassen haben. Gleichzeitig gaben die vertrauensfördernden Maßnahmen der chinesischen Behörden bislang ein inkohärentes und enttäuschendes Bild ab. Nun könnte sich jedoch eine Wende abzeichnen: Das umfassende und koordinierte Konjunkturpaket, das Ende September vorgestellt wurde, soll den Anlegerinnen und Anlegern zeigen, dass die chinesische Regierung alles Notwendige tun wird, um die Wirtschaft zu stützen. Zwar gibt es für Chinas Probleme keine einfache Lösung. Dennoch stellt sich die Frage, ob die verstärkte politische Reaktion das nötige Signal an die Anlegerinnen und Anleger ist, an den zweitgrößten Aktienmarkt der Welt zurückzukehren.

Chinas Wirtschaftsaussichten bleiben problematisch

Das reale BIP-Wachstum in China hat sich in den letzten Jahren stark verlangsamt und beträgt derzeit etwa 4%. Aufgrund des Deflationsdrucks fällt das nominale Wachstum sogar noch geringer aus. Nach offiziellen Angaben liegt es bei rund 3%, in Wirklichkeit dürfte es eher bei null liegen. Diese Verlangsamung steht im krassen Gegensatz zu den zweistelligen nominalen Wachstumsraten, die Anlegerinnen und Anleger in den zehn Jahren zuvor gewohnt waren.

In vielerlei Hinsicht ist die aktuelle Situation in China ein gutes Beispiel für die strukturellen wirtschaftlichen Ungleichgewichte, die durch langfristige staatliche Eingriffe in das freie Spiel der marktwirtschaftlichen Preismechanismen – Zinsen, Wechselkurse und Inflation – verursacht werden. Das schwache Wachstum und die Deflation sind das Ergebnis jahrelanger Überinvestitionen, verschärft durch Chinas angebotsseitigen Fokus auf die Produktionskapazitäten. Dadurch sind in vielen Branchen Überkapazitäten entstanden, die wiederum zu rückläufigen Preisen und Gewinnen geführt haben.

Das Problem der Überinvestition und des Überangebots auf dem Immobilienmarkt hat sich besonders negativ auf die Wirtschaft und die Stimmung der Anlegerinnen und Anleger ausgewirkt. Die immobilienbezogenen Verluste im Bankensektor hatten restriktivere Kreditbedingungen zur Folge. Da zudem fast zwei Drittel des Vermögens chinesischer Privathaushalte in Immobilien gebunden sind, haben die fallenden Immobilienpreise auch zu einem schwachen Verbrauchervertrauen beigetragen. Die sinkenden Zinsen sollen dem entgegenwirken, doch je stärker sie fallen, desto geringer ist der Anreiz für die Banken, das Kreditwachstum zu finanzieren.

Da Immobilien 63% des Gesamtvermögens der Privathaushalte ausmachen, haben fallende Immobilienpreise einen negativen Vermögenseffekt

Chinas Wachstumseinbruch eindämmen

Der Abbau der Überkapazitäten in der chinesischen Wirtschaft wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Bis dahin besteht die Gefahr, dass das schwache Wachstum in einen heftigeren Abschwung übergeht. Entsprechend enttäuscht reagierten die Anlegerinnen und Anleger auf die bruchstückhaften Konjunkturmaßnahmen der letzten Jahre. Auch deshalb könnte das große, koordinierte Anreizpaket vom September einen möglichen Wendepunkt darstellen, denn es zeigt die Entschlossenheit der chinesischen Regierung, den Abschwung einzudämmen und wirtschaftliche Extremrisiken zu minimieren.

Die im September angekündigten Konjunkturanreize sind bedeutsam. Zu den Maßnahmen gehören eine Senkung des Mindestreservesatzes (RRR) um einen halben Prozentpunkt, um rund 1 Bio. RMB an Liquidität im Bankensystem freizusetzen und mehr Mittel für Kredite und Investitionen verfügbar zu machen. Ebenfalls vorgesehen ist eine Senkung der Zinssätze für bestehende Hypotheken, eine Verringerung der Mindestanzahlung für Wohneigentum, um den Immobilienmarkt zu beleben, und neue Liquiditätsfazilitäten, um den Aktienmarkt zu stabilisieren und Investitionen zu fördern.

Eine Senkung der Mindestreserve hat in der Vergangenheit das Kreditwachstum gefördert

Das Finanzministerium kündigte daraufhin am 12. Oktober ein weiteres Paket fiskalpolitischer Maßnahmen an, die der Ausweitung finanzieller Risiken in der Wirtschaft vorbeugen sollen. Zwar wurde der genaue Umfang des Finanzpakets nicht näher erläutert, und der Mangel an Details zur geplanten Ankurbelung des Konsums dürfte einige Anlegerinnen und Anleger enttäuscht haben. Dennoch zeigt die jüngste Ankündigung erneut die Bereitschaft der Regierung, das Wachstum zu unterstützen. Weitere Konjunkturmaßnahmen werden erwartet. Der nächste mögliche Wegweiser ist die Sitzung des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses vom 4. bis 8. November.

Eine schleppende Entwicklung könnte sich immer noch positiv auf den chinesischen Aktienmarkt auswirken

Diese Konjunkturmaßnahmen sind zwar kein Allheilmittel zur Wiederbelebung des Wachstums. Sie sind jedoch bedeutsam, da sie die Bereitschaft der chinesischen Behörden zeigen, die Extremrisiken für die Wirtschaft durch gezielte Interventionen zu beseitigen. Wir glauben daher, dass sich im besten Fall ein Szenario des „Durchkämpfens“ ergeben könnte, ähnlich der langjährigen wirtschaftlichen Stagnation in Japan.

Eine schleppende wirtschaftliche Entwicklung mag für Anlegerinnen und Anleger nicht sonderlich reizvoll erscheinen, doch Pekings Entschlossenheit, dem Wachstum unter die Arme zu greifen, dürfte das Vertrauen stärken und den chinesischen Aktienmarkt stützen. Dies gilt umso mehr, als die Bewertungen derzeit auf oder in der Nähe von Mehrjahrestiefs liegen und das Gewinnwachstum allmählich wieder anzieht. Es ist davon auszugehen, dass sich die Stimmung unter den Anlegerinnen und Anlegern durch zusätzliche politische Maßnahmen in den kommenden Monaten weiter verbessern wird, insbesondere durch eine gezielte und wohlüberlegte Reaktion, die darauf abzielt, die Entstehung weiterer wirtschaftlicher Blasen zu verhindern.

Auch wenn sich die Stimmung der Anlegerinnen und Anleger gegenüber China zusehends aufhellen dürfte, wird es entscheidend sein, die komplexen chinesischen Märkte umsichtig zu navigieren und die Unternehmen zu identifizieren, die sich selbst in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld gut entwickeln können. Nur so lässt sich ein langfristiges Ertragspotenzial erschließen. Mit über 1.000 liquiden Aktien, die zur Auswahl stehen, bietet China aus unserer Sicht attraktive Möglichkeiten für ein aktives Stock-Picking. Voraussetzung ist, dass man die komplexe Dynamik des Marktes versteht und über ausreichende Research-Kapazitäten verfügt, um Unternehmen zu identifizieren, die robust und anpassungsfähig genug sind, um unter verschiedenen Marktbedingungen zu bestehen.

Die Bewertungen am Aktienmarkt sind in den letzten Jahren stark gefallen

Dabei gilt es insbesondere, die Unterschiede zwischen dem staatlichen und dem privaten Sektor sowie das grundsätzliche Spannungsverhältnis zwischen staatlicher Kontrolle und dem freien Spiel der Marktkräfte in China zu verstehen. Viele chinesische Unternehmen sind staatseigene Betriebe, sogenannte State-Owned Enterprises (SOEs). Diese Unternehmen profitieren zwar vom einfachen Zugang zu Kapital zu niedrigen Zinsen, sind aber häufig von den Zwängen des Marktes abgeschirmt und haben daher mitunter Schwierigkeiten, attraktive Kapitalerträge zu erwirtschaften.

Der chinesische Privatsektor hingegen ist stärker vom Unternehmergeist geprägt und hat zahlreiche weltweit konkurrenzfähige Firmen in den verschiedensten Branchen hervorgebracht, vom verarbeitenden Gewerbe bis hin zum E-Commerce und dem Technologiesektor. Private Unternehmen bieten höhere potenzielle Erträge, sind jedoch einem intensiven Wettbewerb ausgesetzt und können mit ihrem Erfolg auch die Aufmerksamkeit der chinesischen Regulierungsbehörden auf sich ziehen.

Diese Unterscheidung zwischen öffentlich und privat kann einen erheblichen Einfluss auf die Erträge haben. Obwohl die staatliche Unterstützung für den Immobilienmarkt beispielsweise zu einer breiteren Stabilisierung der Gewinne im Immobiliensektor beitragen könnte, sollten sich Anlegerinnen und Anleger, die ein Engagement anstreben, möglicherweise eher auf staatseigene Unternehmen als auf private Bauträger konzentrieren. Staatsunternehmen sind eher in der Lage, die Finanzierung für neue Projekte in den größten Städten zu sichern, wo die Nachfrage stabiler ist.

Langsameres Wachstum bedeutet nicht zwangsläufig geringere Erträge

Chinas Wirtschaftswachstum mag zwar nachgelassen haben, aber die Anlegerinnen und Anleger kaufen Aktien und nicht das BIP. In einer globalisierten Welt erkennen wir über längere Zeiträume keinen wirklichen Zusammenhang zwischen dem Wirtschafts- und Gewinnwachstum. Man muss nur nach Europa und Japan schauen, wo die Märkte trotz eines jahrelangen schwachen BIP-Wachstums auf oder nahe an Allzeithochs notieren. Wichtig ist, unterscheiden zu können zwischen den Unternehmen, die sich an das Wachstumsumfeld anpassen und ihre Gewinne im Laufe der Zeit steigern, und denen, die zurückbleiben.

Viele chinesische Unternehmen reagieren bereits auf das verlangsamte Wachstum, indem sie ihre Kapitalallokation verbessern und versuchen, den Shareholder Return zu erhöhen. Die Regierung spielt dabei ebenfalls eine Rolle, da sie staatseigene Unternehmen dazu anhält, mehr Wert auf Dividenden zu legen und sich Ziele für die Kapitalrendite zu setzen. Große Staatsunternehmen schütten seit geraumer Zeit Dividenden an Minderheitsaktionäre aus. Die China Construction Bank etwa ist stets in der Lage, ihren Aktionärinnen und Aktionären stabile Ertragsströme zu bieten. Auch Sinopec, einer der größten Öl- und Gaskonzerne Chinas, zahlt seit vielen Jahren attraktive Dividenden.

Darüber hinaus konzentrieren sich private Unternehmen angesichts der Konjunkturflaute inzwischen viel stärker auf den Shareholder Value, um Investitionen anzuziehen. Im E-Commerce-Sektor zum Beispiel hat Alibaba seine erste ordentliche Dividende ausgeschüttet und ein beträchtliches Aktienrückkaufprogramm aufgelegt. Dies spiegelt einen generellen Trend unter chinesischen Unternehmen wider, sich eher auf den Shareholder Return als auf aggressive Reinvestitionen zu fokussieren. In Kombination mit seinem Rückkaufprogramm und dem zukünftigen Gewinnwachstum bietet die Dividendenrendite von Alibaba ein attraktives Gesamtertragspotenzial für Anlegerinnen und Anleger.

Ein weiteres Beispiel ist der Molkereikonzern Mengniu, der sein erstes Aktienrückkaufprogramm angekündigt hat, ein Beleg für seine starke Bilanz und seine Verpflichtung, Kapital an die Anlegerinnen und Anleger zurückzuführen. Das Unternehmen konzentriert sich auf die Verbesserung seines Produktmix und die Eroberung weiterer Marktanteile, was sich positiv auf seine langfristigen Wachstumsaussichten auswirken dürfte. Im Energiesektor hat der Gasversorger China Resources Gas seine Zwischendividende deutlich erhöht und damit seine starke Cashflow-Generierung und aktionärsfreundliche Politik unter Beweis gestellt. Das Unternehmen hat seinen Kundenstamm erweitert und in die Infrastruktur investiert, um künftiges Wachstum zu fördern. Sein Fokus auf operative Effizienz und Kostenkontrolle hat ebenfalls zur Verbesserung der Rentabilität beigetragen.

Fazit: Navigation durch das komplexe Umfeld in China

Die chinesische Regierung ergreift Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft. Dies dürfte die Anlegerinnen und Anleger positiver stimmen und angesichts des aktuellen Bewertungsniveaus das langfristige Anlageurteil für chinesische Aktien verbessern. Gleichzeitig passen chinesische Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit zunehmend an die neue wirtschaftliche Realität an und versuchen, durch eine bessere Kapitalallokation und eine Steigerung des Shareholder Return neue Investitionen anzuziehen. All dies bringt attraktive Gelegenheiten für ein aktives Stock-Picking mit sich.

Zwar besteht angesichts der gut dokumentierten strukturellen Herausforderungen für die chinesische Wirtschaft, der Gefahr staatlicher Eingriffe und der Komplexität des chinesischen Aktienmarktes weiterhin Grund zur Vorsicht. Wir sind jedoch davon überzeugt, dass sich für Anlegerinnen und Anleger attraktive langfristige Chancen ergeben können, wenn sie diese Herausforderungen mit Umsicht angehen und sich auf Unternehmen mit soliden Fundamentaldaten und einer aktionärsfreundlichen Politik konzentrieren. Aus Portfoliosicht kommt es auf das Alpha an, nicht auf das Beta.