Das Jahrzehnt der Fiskalpolitik: Die Versprechen, die Probleme und das Potenzial fiskalischer Anreize
Dr. David Kelly
John Bilton
Michael Albrecht
Tilmann Galler
Tim Lintern
Nandini Ramakrishnan
Wichtigste Erkenntnisse
- In den nächsten zehn Jahren wird ein starker Anstieg der fiskalischen Anreize den neuen Konjunkturzyklus prägen.
- Der eigentliche begrenzende Faktor für die Regierungen ist wahrscheinlich nicht die Höhe der Verschuldung, sondern die Höhe des Schuldendienstes.
- Mit der richtigen Umsetzung können Fiskalanreize einen schnelleren Ausweg aus Rezessionen bieten. Im ungünstigsten Fall können sie aber das Vertrauen in Staatsanleihen und Landeswährungen untergraben.
In den kommenden zehn Jahren erwarten wir stärkere aktive Fiskalanreize als je zuvor in der modernen Finanzgeschichte. Hinzu kommt, dass die Geld- und Fiskalpolitik zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder an einem Strang ziehen werden. Die Entwicklung dieser neuen Dynamik könnte den Konjunkturzyklus, der in diesem Jahr als Folge des Ausbruchs des Coronavirus begann, tiefgreifend beeinflussen.
Zwei Faktoren werden über den weiteren Verlauf der Geschichte entscheiden – die Fähigkeit eines Landes, fiskalische Anreize zu setzen (also seine „fiskalische Kapazität“) und seine Fähigkeit, diese Anreize sinnvoll zu nutzen (also seine „fiskalische Effektivität“).
Ein Land mit umfassendem fiskalischem Spielraum kann die Ausgaben erhöhen und die Defizite ausweiten, ohne dass die Renditen seiner Staatsanleihen steigen oder die Währung geschwächt wird. Um die fiskalische Kapazität einzuschätzen, kombinieren wir unsere Messgröße für den fiskalischen Spielraum mit der so genannten „institutionellen Robustheit“. Diese wird anhand von Faktoren wie einer leichten Geschäftsabwicklung und Governance bewertet. Ein Land mit robusteren Institutionen verfügt wahrscheinlich über größere Kapazitäten, um die Ausgaben anzukurbeln.
Die fiskalische Effektivität bezieht sich auf die Fähigkeit einer Regierung, ihr Kapital gezielt in Produktivitätssteigerungen zu investieren. Diese Fähigkeit wird eingeschränkt, wenn der fiskalische Multiplikator (inwieweit ein zusätzlicher Dollar an Staatsausgaben auf seinem Weg durch die Wirtschaft das BIP steigert) niedrig ist. Die fiskalische Effektivität kann auch durch strukturelle Probleme beeinträchtigt werden, die dazu führen, dass die Investitionsausgaben dem Produktivitätswachstum entzogen werden, etwa durch Pensionsverpflichtungen und Gesundheitskosten, insbesondere in Volkswirtschaften mit schnell alternder Bevölkerung.
Mit der richtigen Umsetzung können fiskalische Anreize einen schnelleren Ausweg aus Rezessionen bieten und den Regierungen umfassende soziale Leistungen ermöglichen. Im Extremfall können undisziplinierte Fiskalanreize jedoch das Vertrauen in die Staatsanleihen und Landeswährungen untergraben.
Wie viel Verschuldung ist zu viel?
Der eigentliche begrenzende Faktor für die Regierungen ist wahrscheinlich nicht die Höhe der Verschuldung selbst, sondern die Höhe der Tilgungen. Wenn die Zinsen und die Inflation weiterhin sehr niedrig sind, können die Regierungen ihre Kreditaufnahme natürlich ohne signifikante Konsequenzen erhöhen. Sollten höhere Zinsen jedoch dazu führen, dass die Zinskosten einen erheblichen Teil im Etat eines Landes ausmachen und andere Ausgabenbereiche unter Druck geraten, wird dies sowohl den Steuerzahlern als auch den Investoren unangenehm auffallen.
Dieses potenzielle Risiko höherer Zinssätze hängt wiederum weitgehend mit der Gefahr einer höheren Inflation zusammen. Seit fast vier Jahrzehnten ist die Inflation sowohl in den Industrie- als auch in den Schwellenländern rückläufig. Dies ist zum Teil auf die größere Einkommensungleichheit zurückzuführen, die tendenziell die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen im Verhältnis zu ihrem Angebot verringert hat. Die Automatisierung und die Einführung neuer Technologien haben die Inflation ebenfalls in Schach gehalten.
Während sich die Weltwirtschaft von der Rezession erholt, könnte es zu einem zyklischen Inflationsanstieg kommen. Gerade wenn die politischen Entscheidungsträger zu fiskalischen Maßnahmen greifen, um die Einkommensungleichheit zu verringern, könnte dies die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen erhöhen und zugleich die Nachfrage nach finanziellen Vermögenswerten wie Anleihen verringern. Dann würden sowohl die Inflation als auch die Zinsen steigen.
Aufgrund des aktuell niedrigen Ausgangsniveaus der Zinsen, einer geringen Inflation und einer kaum wachsenden Weltwirtschaft wird das kommende Jahrzehnt wahrscheinlich von einer aktiven Fiskalpolitik geprägt sein. Ob uns ein Jahrzehnt des fiskalisch bedingten wirtschaftlichen Fortschritts oder eine Fiskalkrise bevorsteht, hängt von der Disziplin ab, mit der die Regierungen und Zentralbanken diese Instrumente einsetzen