Es ist unwahrscheinlich, dass die Bewertungslücke zwischen den größten Aktien (den Megacaps) und dem Rest auf unbestimmte Zeit bestehen bleibt.
„Bis 2005 wird sich zeigen, dass die Auswirkungen des Internets auf die Wirtschaft nicht größer sein werden als die des Faxgeräts“, erklärte 1998 ein ehemaliger Gewinner des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften. Dieses berühmte Zitat verdeutlicht, wie selbst die klügsten analytischen Köpfe sich schwer tun können, das Tempo des technologischen Fortschritts zu prognostizieren.
Mittlerweile herrscht zunehmend Konsens darüber, dass die boomende Branche der künstlichen Intelligenz (KI) die nächste Technologierevolution vorantreibt. Für die Anlegerinnen und Anleger lautet unterdessen die wichtigste Frage, ob die momentan an den Finanzmärkten verankerten Erwartungen einen realistischen Weg vorgeben.
KI-Aktien und Indexkonzentration
Die aktuelle Zusammensetzung des S&P 500 macht deutlich, wie wichtig eine kleine Anzahl von Unternehmen geworden ist, die mit KI verbunden sind. Während jedes der Unternehmen unter den „Glorreichen Sieben“ unterschiedlich auf das KI-Thema ausgerichtet ist, macht diese Gruppe mittlerweile fast 35% der Marktkapitalisierung des S&P 500 aus und hat seit Anfang 2023 mehr als 70% der Erträge erzielt. Diese Outperformance hat zudem eine Expansion der Bewertungen herbeigeführt. Während der Rest des S&P 500 mit dem 19-Fachen der zukünftigen Gewinne für die nächsten 12 Monate gehandelt wird, werden die zehn größten Aktien im Index mittlerweile zum 29-Fachen der Gewinne gehandelt (Abbildung 9).
Die Bewertungslücke zwischen den größten Aktien (den Mega Caps) und dem Rest wird wohl nicht auf ewig fortbestehen. Wenn das breite KI-Ökosystem genügend Umsätze generiert, um die für eine Handvoll Unternehmen bereits angenommenen Gewinnerwartungen zu rechtfertigen, dürfte der „Rest“ mit der Zeit aufholen. Sollte jedoch das breitere Unternehmensuniversum den klaren Anwendungsfall dieser Technologien nicht erkennen und nicht bereit sein, dafür zu zahlen, ist ein ungünstiges Nachholszenario wahrscheinlicher.
Die starken Fundamentaldaten der Mega Caps, sowohl im Vergleich zu anderen Teilen des S&P 500 heute als auch im Vergleich zur Technologieblase im Jahr 2000, bieten eine gewisse Zuversicht, dass ein großer „Nachholeffekt“ unwahrscheinlich ist. Insgesamt verfügen die „Glorreichen Sieben“ gemäß ihren jüngsten Ergebnisberichten über Barmittel in ihren Bilanzen von rund 460 Mrd. US-Dollar. Der aktuelle Spread von knapp über 10 Basispunkten auf die 2032 fälligen Unternehmensanleihen von Apple ist ein Beispiel dafür, wie der Markt die Qualität dieser Unternehmen einstuft.
Ein weiterer wesentlicher Unterschied im Vergleich zum Jahr 2000 besteht darin, wie sehr das erzielte Gewinnwachstum einen Großteil der Aktienkursentwicklung unterstützt hat (Abbildung 10). Nehmen wir mal Amazon, dessen KGV in den letzten zwölf Monaten von 48x auf 35x gesunken ist, bei dem jedoch ein enormes Gewinnwachstum zu einem Kapitalertrag von 46% auf ein Jahr geführt hat. Oder Nvidia, das Aushängeschild der KI, dessen Multiplikatoren in den letzten zwölf Monaten gestiegen sind, bei dem aber eine 145%ige Veränderung der Zwölf-Monats-Gewinnprognose eine wichtige Rolle beim Kapitalertrag der Aktie von 207% gespielt hat.
Mit anderen Worten: Was wir heute sehen, ist die Dominanz von Realität gegenüber der Hoffnung, anstelle des umgekehrten Falls, der während der Dotcom-Blase vorherrschte (Abbildungen 11 und 12).
Die KI-Wertschöpfungskette verstehen
Um zu verstehen, wie ein „Aufholszenario“ aussehen könnte, muss man entlang der KI-Wertschöpfungskette viel genauer hinschauen (Abbildung 13). Ganz einfach ausgedrückt lassen sich KI-Unternehmen in fünf Schlüsselgruppen zusammenfassen:
- KI-Hardware (z. B. Nvidia in den USA, ASML in Europa und TSMC in Taiwan), d. h. diejenigen Unternehmen, die die Entwicklung und Herstellung von Halbleitern vorantreiben, welche für die Generierung von Rechenleistung entscheidend sind;
- KI-Hyperskalierer (z. B. Amazon Web Services Business oder Google Cloud), d. h. Unternehmen, die physische KI-Infrastruktur wie Cloud-Services und Rechenzentren bereitstellen, benutzerdefinierte Siliziumchips konzipieren und große Sprachmodelle erstellen, welche von anderen Unternehmen verwendet werden können;
- KI-Entwickler, d. h. Unternehmen, die von kleinen App-Entwicklern bis hin zu bestehenden Unternehmen für Unternehmenssoftware (z. B. Adobe oder Microsoft) reichen können, welche Hyperskalierer-Technologien nutzen, um Lösungen für Endnutzer bereitzustellen;
- KI-Integratoren, d. h. die größeren Unternehmen, die über ausreichende Technologiefunktionen verfügen, um ihre eigenen KI-Lösungen zu entwickeln, sowie die IT-Serviceunternehmen, die sie dabei unterstützen;
- KI-Grundlagen, d. h. Unternehmen, die weniger direkt von der Technologie selbst betroffen sind, aber die Ressourcen bereitstellen, welche die gesamte KI-Wertschöpfungskette ermöglichen, sei es Energie, Klimaanlagen, Rohstoffe oder sogar die Daten, um Modelle zu trainieren.
Ein bislang von Mega Caps beherrschtes Monopol…
Ungeachtet der riesigen Anzahl an unterschiedlichen Unternehmen, die sich irgendwann in einer (oder mehreren) dieser KI-Kategorien wiederfinden werden, werden heute nur eine Handvoll Mega Caps auf Grundlage der aktuellen Gewinnerwartungen als Gewinner erachtet, wobei der Investitionsfluss (Capex) bei dieser kleinen Anzahl von Mega Caps in den letzten zwei Jahren einen positiven Gewinnzyklus etabliert hat.
Laut Daten von S&P Global werden von 2024 bis 2027 nur fünf KI-Hyperskalierer insgesamt mehr als 1 Bio. US-Dollar an Investitionen tätigen, was wiederum massive Umsatzerwartungen für KI-Hardware-Namen nach sich ziehen wird. NVIDIA ist der Hauptnutznießer, dessen Jahresumsatz von 4 Mrd. UD-Dollar im Jahr 2014 auf prognostizierte 61 Mrd. US-Dollar im Jahr 2024 angewachsen ist. Gleichzeitig sind die zehn größten Aktien im S&P 500 mittlerweile für über 40% der Forschungs- und Entwicklungskosten (F&E) verantwortlich, obwohl sie nur 13% der Umsätze im S&P ausmachen (Abbildung 14).
Die Rentabilität von Investitionen steht nun im Rampenlicht
Die erhebliche Lücke zwischen den Umsatzerwartungen von Hardwareunternehmen und dem Umsatzwachstum, das durch das KI-Ökosystem generiert werden kann, ist bereits ein Thema, das viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat.2 Wenn die Entwickler und Integratoren nicht genügend Gewinn erzielen können, wird sich diese Schwäche letztendlich auf die Wertschöpfungskette ausbreiten. Da der anfängliche Hype um KI allmählich nachlässt, stellt sich für die Anlegerinnen und Anleger eine einfache Frage: „Wo bleibt das Geld?“
Die gute Nachricht für Technologie-Bullen ist, dass die Akzeptanz von KI anscheinend zunimmt. Die globale Umfrage von McKinsey zu KI von Anfang des Jahres zeigte beispielsweise, dass der Anteil der Unternehmen, die KI in mindestens einer Geschäftsfunktion eingeführt haben, von 55% im Jahr 2023 auf 72% im Jahr 2024 gestiegen war, wobei der Anteil der Unternehmen, die generative KI nutzen, noch stärker zugenommen hat.
Die Quantifizierung des Umsatzvorteils ist unterdessen wesentlich schwieriger. Während die Prognosen für die Hardwareanbieter noch unsicher sind, stammt ein Großteil der KI-bezogenen Umsätze von einer geringen Anzahl an Hyperskalierern. Aber für die Entwickler, ob sie nun Software an eine Anwaltskanzlei verkaufen, um deren Mitarbeiterzahl zu reduzieren, oder neue Technologien an ein Pharmaunternehmen verkaufen, die beschleunigte Arzneimitteltests ermöglichen, werden sich diese höheren Umsätze auf die gesamte Wirtschaft verteilen. Dies erschwert es Analystinnen und Analysten deutlich, die Gewinnaussichten zu beurteilen.
Bewertung von KI-Anlagegelegenheiten
Sollten sich die Anlegerinnen und Anleger entlang der Wertschöpfungskette für weiteres Aufwärtspotenzial positionieren, da sich der KI-Hype in KI-Realität wandelt?
Bisher konzentrierte sich die Begeisterung der Anlegerinnen und Anleger vor allem auf die ersten beiden Kategorien, namentlich Hardware und Hyperskalierer. Deren Unternehmen sind häufig in den Sektoren Technologie und Kommunikationsdienste vorzufinden. Die hohe Bewertungsstreuung in diesen Kategorien deutet darauf hin, dass weiterhin Chancen für kompetente, auf die Aktienauswahl spezialisierte Anlegerinnen und Anleger bestehen. Sie müssen sich jedoch bewusst sein, dass enttäuschende Unternehmensgewinne zu einer erheblichen Volatilität führen könnten. Diese Kategorien dürften ferner am stärksten von eskalierenden Handelsspannungen zwischen den USA und China betroffen sein, wenngleich die Ausgestaltung der neuen Politik noch nicht bekannt ist. Angesichts der aktuell hohen Gewinnspannen sind Zölle zudem eher ein zweitrangiges Thema. Neue Handelsbeschränkungen, welche die Verfügbarkeit hochentwickelter Technologien einschränken, würden indes größere Risiken mit sich bringen.
Wir finden zahlreiche Gelegenheiten im Bereich KI- Grundlagen, in dem Unternehmen häufig mit weniger anspruchsvollen Bewertungen gehandelt werden und viele derzeit eine deutliche Umsatzbeschleunigung erleben. Ein Beispiel hierfür ist der Versorgungssektor, in dem sich die Nachfrage von Rechenzentren nach Elektrizität bis 2026 im Vergleich zu 2022 mehr als verdoppeln dürfte.
Die größten KI-gesteuerten Gewinner könnten im Laufe der Zeit bei den Entwicklern zu finden sein. In dieser Kategorie gibt es bereits viele etablierte Unternehmen in Form von Anbietern von Unternehmenssoftware, die momentan KI integrieren, um ihre Produktpalette zu erweitern. Das Wachstum des Internets in den frühen 2000s Jahren zeigt unterdessen, wie lange es dauern kann, bis man vollständig versteht, wie transformativ neue Technologien sein können. Nur wenige Anlegerinnen und Anleger haben den Erfolg von Unternehmen wie Amazon und Uber vorhergesehen, die später die enormen Investitionssummen, die zunächst von anderen investiert wurden, für sich nutzen konnten. Dergleichen könnte auch für KI gelten. Ein diversifizierter Ansatz wird angesichts der stark unterschiedlichen Zukunftsaussichten bei den weniger etablierten Entwicklern von entscheidender Bedeutung sein.
Schließlich hofft praktisch jedes S&P 500 Unternehmen in den kommenden Jahren auf „Integratorstatus“. Die größte Herausforderung für Aktienanalysten besteht darin, zwischen diesen Unternehmen zu differenzieren, die Worten kaum Taten folgen lassen, und denjenigen, deren Ergebnisberichte zeigen, dass sie wirklich „den Weg beschreiten“.
Fazit: Jenseits der Mega Caps unter den Tech- Aktien nach KI-Chancen suchen
Unserer Ansicht nach ist die Bewertungslücke zwischen Mega Caps im Technologiesektor und dem breiteren S&P 500 nicht aufrechtzuerhalten. Im Gegensatz zu 2000 erachten wir jedoch ein „Aufholszenario“ als wahrscheinlicher als ein „Nachholszenario“. Von hier aus sollten sich Anlegerinnen und Anleger auf Chancen konzentrieren, die sich direkt entlang der KI- Wertschöpfungskette durchsetzen werden. Sie müssen dabei künftige Ertragschancen gegen bereits im Kurs eingepreiste Faktoren abwägen. Günstigere Bewertungen und weniger anspruchsvolle Gewinnerwartungen außerhalb von Mega-Cap-Technologieaktien deuten darauf hin, dass sich selbst KI-Bullen für eine verstärkte Ausweitung auf alle Sektoren im Jahr 2025 positionieren sollten.