Das Parlament ist sich einig darüber, dass ein Nein zum Deal keine diskutable Lösung ist. So haben sich die meisten gegen den Deal entschieden, weil sie sich einen sanfteren Brexit wünschen. Die zentrale Frage ist nun also, wie es möglich ist den Deal so umzuformen, dass die Mehrheit zustimmt und wie lange werden die Neuverhandlungen dauern.
Die entscheidende Phase
Der ausgehandelte Brexit-Deal basiert auf zwei zentralen Bestandteilen. Bei der Austrittsvereinbarung handelt es sich um ein rechtsverbindliches Abkommen, in dem die Modalitäten der Abspaltung Großbritanniens von der EU geregelt sind. Dazu zählen auch die finanzielle Abwicklung, die Rechte der Bürger, die Übergangsphase (mindestens bis Dezember 2020, ggf. Verlängerung) sowie eine sogenannte Backstop-Vereinbarung, für den Fall, dass sich beide Seiten nicht auf eine zukünftige Zusammenarbeit einigen können. Die politische Erklärung ist nicht rechtsverbindlich, enthält aber einige weitgehende Übereinstimmungsbereiche in Bezug auf die Ausgestaltung der künftigen Partnerschaft. Der Gesetzesentwurf muss in Großbritannien, vom Europäischen Parlament sowie von allen 27 EU-Mitgliedsstaaten verabschiedet werden.
Insbesondere zwei Bereiche werden kontrovers diskutiert. Der eine davon ist der sogenannte Backstop. Während des gesamten Verhandlungsprozesses war die Grenze Irlands eines der am heißesten diskutierten Themen. Großbritannien ließ verlauten, dass es zwar aus der EU austreten, jedoch keine Grenze zu Irland errichten wolle, da eine solche Vereinbarung den Friedensprozess unter dem Karfreitagsabkommen gefährden könnte. Gleichzeitig wünscht Nordirland kein separates Abkommen. (Es sei darauf hingewiesen, dass Schottland im Gegensatz zu Nordirland ein separates Abkommen wünscht, da das Land seinen Zugang zum Binnenmarkt behalten möchte. Damit wird die Diskussion rund um die schottische Unabhängigkeit neu entfacht, und die Stabilität der Union aus England, Wales, Schottland und Nordirland wird insgesamt auf die Probe gestellt.) Das Problem besteht darin, dass der vorgeschlagene Backstop dazu führen würde, dass Nordirland stärker in der Zollunion verwurzelt wäre als der übrige Teil Großbritanniens und Kontrollen in der Irischen See erforderlich macht. Die Democratic Unionist Party (DUP) in Nordirland, die die Minderheitsregierung von Theresa May unterstützt, kündigte an, ein solches Abkommen nicht zu akzeptieren. Darüber hinaus missfällt es einigen Abgeordneten, dass der Backstop nicht einseitig von Großbritannien widerrufen werden kann. Sie argumentieren, dass dadurch das Interesse der EU an einer raschen Finalisierung des Partnerschaftsentwurfs sinken könnte.
Widerstand regt sich auch innerhalb der Konservativen Partei. Die als „Brexiteers“ bekannten Brexit-Befürworter streben eine klarere Abspaltung von Europa an – den sogenannten „No-Deal- Brexit“. Ihres Erachtens wiegen beim derzeitigen Deal die Nachteile – die Einhaltung der EU-Regeln und Bestimmungen und die damit verbundenen Zugeständnisse im Hinblick auf die „Souveränität“ – schwerer als der Vorteil des Zugangs zu den Märkten der EU (die derzeit 44 % aller Exporte Großbritanniens ausmachen).
Wenngleich sämtliche Bedenken berechtigt sind, wäre es der Premierministerin schlicht unmöglich, einen Deal zur Zufriedenheit aller auszuhandeln. Die Wünsche und Ziele Großbritanniens sind in sich widersprüchlich. Durch die Notwendigkeit eines freien Handelsverkehrs in Irland ohne ein separates nordirisches Abkommen – ganz zu schweigen von der nun einmal extrem integrierten Lieferkette zwischen Großbritannien und der EU – wird ein Abkommen benötigt, das in erster Linie den Warenverkehr regelt. Das erfordert wiederum die Einhaltung von EU-Standards – und damit kann Großbritannien keine vollständige Unabhängigkeit erlangen. (Würde Großbritannien ein Handelsabkommen mit den USA unterzeichnen, um den Verlust der Handelsbeziehungen mit der EU auszugleichen, müsste das Land US-Standards akzeptieren – diese unterscheiden sich jedoch im Bereich der Landwirtschaft deutlich). Ein von allen Abgeordneten einstimmig für „gut“ befundener Deal wäre schlicht nicht möglich gewesen. Bei der Frage, ob einer der Abgeordneten die Rolle des Premiers übernehmen könnte bzw. in der Lage wäre, ein alternatives Abkommen vorzulegen, sollte man sich dies stets vor Augen führen. Aufgrund des unerforschten Terrains sind die Gesetzmäßigkeiten der möglichen Optionen keineswegs klar. Nachstehend haben wir versucht, die vier möglichen Szenarien aufzuzeigen, wobei wir die am wenigsten wahrscheinlichen Ausgänge als erstes anführen.
- "No deal". Zeitweise bestand das Risiko, dass die Regierungschefin durch einen Abgeordneten aus den eigenen Reihen, der einem No-Deal-Brexit gelassener entgegensieht, abgelöst würde. Sollte die EU nicht zu neuen Verhandlungen oder zur Ausweitung des Verfahrens nach Artikel 50 bereit sein, könnte Großbritannien im Grunde genommen aus der EU „herausfallen“. Jedoch hat der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs ein Gutachten vorgelegt, wonach Großbritannien Artikel 50 einseitig widerrufen könnte. Wir gehen davon aus, dass ein „No Deal“ keine parlamentarische Mehrheit erlangen wird, da die Regierung dann unseres Erachtens die Vertrauensfrage stellen würde, womit ein No-Deal-Szenario verhindert würde. Sollten wir hiermit falsch liegen, sei darauf hingewiesen, dass die Bank of England bei einem „No Deal“ eine Abwertung des britischen Pfund um 25 % für nötig hält, um die Auswirkungen der neuen Handelsschranken auf die Binnenwirtschaft abzufedern.
- Neuwahlen Die Labour-Partei könnte ein Misstrauensvotum gegen die Regierung beantragen und gewinnen. Die Regierung hätte dann 14 Tage Zeit, um sich das Vertrauen durch eine Mehrheit im britischen Unterhaus zu sichern (ggf. müsste ein neuer Leader gewählt werden), oder es käme zu Parlamentswahlen. Wie eine Labour-Regierung den Brexit- Prozess beeinflussen würde, ist unklar, da die Partei noch nicht genau dargelegt hat, welche Bestandteile des Abkommens sie ändern würde. Klar ist lediglich, dass sie einen Verbleib in der Zollunion vorzieht.
- Weiteres Referendum Die Premierministerin könnte eine weitere Volksabstimmung in Betracht ziehen, um den ausgehandelten Deal ratifizieren zu lassen. Sollte sie dabei ausreichend Unterstützung erhalten, müssten die Abgeordneten die Wünsche ihrer Wählerschaft respektieren. Das mag einfach klingen, ist jedoch in Wahrheit wesentlich komplexer. Es wäre wiederum eine Mehrheit im Unterhaus erforderlich, um das Verfahren einzuleiten. Und die Ausgestaltung wäre ähnlich kontrovers. Geht es um die Frage dieses speziellen Deals gegenüber einem Verbleib in der EU, oder soll die Option eines „No Deals“ berücksichtigt werden?
Es sei darauf hingewiesen, dass sowohl allgemeine Wahlen als auch eine zweite Volksabstimmung den Prozess wahrscheinlich in die Länge treiben würden und Großbritannien eine Ausweitung von Artikel 50 mit der EU vereinbaren müsste. Die EU könnte sich zumindest anfangs sträuben.
Offenbar wird derzeit eine Vereinbarung nach dem Norwegen- Modell diskutiert, das als Platzhalter dienen könnte. Es ist nicht unmittelbar erkennbar, welche Lösungen sich daraus ergeben, da zusätzlich zur Einhaltung von EU-Bestimmungen wie nach dem aktuellen Entwurf auch unverändert der freie Personenverkehr wahrscheinlich wäre.
Wie wird der Markt reagieren, wenn Großbritannien scheinbar nicht nur unfähig ist, Plan A durchzubringen, sondern darüber hinaus keinen Plan B präsentieren kann? Die anhaltende Unsicherheit wird möglicherweise einem verstärkten Optimismus weichen, dass Großbritannien in der EU oder zumindest definitiv in der Zollgemeinschaft verbleibt. Eine deutliche Verlagerung der Marktstimmung in eine spezielle Richtung lässt sich also für keines der Szenarien wirklich vorhersagen.
- Der vorgelegte Vertragsentwurf wird nach Änderungen bewilligt. Die britische Regierungschefin versucht derzeit weitere Zugeständnisse der EU zu erhalten - insbesondere im Hinblick auf die "Backstop"-Lösung (also die Auffanglösung, die auf jeden Fall eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland verhindern soll) im Falle das eine endgültiger Deal nicht erreicht werden kann.
Warum sollten solche geringfügigen Änderungen also die Wahlabsichten der Abgeordneten neu entscheiden? Sollte es hart auf hart kommen, wäre dies unserer Ansicht nach die am wenigsten schlechte Lösung für beide Abgeordneten-Lager. Wenn sie May nicht unterstützen, ist das Risiko groß, dass die „No-Deal“-Fürsprecher innerhalb der Konservativen Partei entweder eine Wahl oder ein neues Referendum verlieren – und damit möglicherweise ganz auf den Brexit verzichten müssen.
Letztlich gehen wir davon aus, dass die Regierungschefin ausreichend Unterstützung von beiden Seiten des Hauses erfahren wird, um das Brexit-Paket zu verabschieden.
Und dann?
Wird der Vertragsentwurf genehmigt, würde Großbritannien in eine Übergangsphase eintreten, damit sich die Unternehmen an die neuen Vereinbarungen anpassen können. Die genaueren Einzelheiten müssten erst noch erarbeitet werden. Ziel ist, dass sie bis Juni 2020 ausreichend geklärt sind, damit das neue Abkommen im Januar 2021 in Kraft treten kann. Allerdings ist es äußerst wahrscheinlich, dass sich das Verfahren in die Länge zieht und die Übergangsfrist verlängert wird.
Die mittelfristige Unsicherheit wäre zwar nicht gänzlich beseitigt, doch unseres Erachtens wäre an den britischen Märkten bei Bewilligung der Austrittsvereinbarung eine deutliche Erholung spürbar. In diesem Falle gehen wir von einer deutlichen Aufwertung des britischen Pfund aus. Binnenorientierte GB-Aktien würden wahrscheinlich profitieren, doch der höhere Wechselkurs könnte die Aktien größerer Unternehmen vor Herausforderungen stellen, da sie einen erheblichen Anteil ihrer Gewinne aus dem Ausland zurückführen.
Eine Konjunkturverbesserung wäre wahrscheinlich, da das Vertrauen der Unternehmen Investitionen begünstigt, und ein Anstieg des britischen Pfund würde die Inflation eindämmen – und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem die Löhne steigen, was wiederum den Konsum fördert. Da die Konjunktur gemäß der Bank of England bereits auf vollen Touren läuft, würden wir für 2019 von zwei Zinserhöhungen ausgehen.