In Zeiten wie diesen ist es leicht, sich von der Politik absorbieren zu lassen, aber oft sind viel größere Marktkräfte der Haupttreiber für die relative Performance des Aktienmarktes.
Der S&P 500 hat den britischen FTSE All-Share Index oder den MSCI Europe ex-UK Index im Laufe des Jahres 2024 weiterhin deutlich übertroffen. Infolgedessen wird der britische Aktienmarkt jetzt mit einem Abschlag von fast 50% gegenüber der US-Benchmark und der MSCI Europe ex-UK Index mit einem Abschlag von mehr als 35% gehandelt.
Ist ein derartiger Abschlag auf europäische Aktien gerechtfertigt? Sollten Anlegerinnen und Anleger eine Umschichtung in europäische Aktien in Betracht ziehen?
Anlegerinnen und Anleger könnten versucht sein, diesen Gedanken angesichts eines neuen US-Präsidenten mit einem klaren „America first“-Mandat und aufgrund der Tatsache, dass Europas Aufschwung schon vor den drohenden neuen Handelsspannungen glanzlos war, zu ignorieren. Wir sehen jedoch mehrere Gründe, weshalb sie bei ihren Aktienallokationen regionale Diversität in Betracht ziehen sollten.
Europa hat eine deutlich niedrigere Hürde zu nehmen, um die Erwartungen zu übertreffen
Zwischen den Erwartungen in Bezug auf die US- Unternehmen und denen ihrer europäischen Pendants besteht ein großer Unterschied (Abbildungen 15 und 16). Es wird davon ausgegangen, dass die Gewinne des S&P 500 in den nächsten zwölf Monaten um 14% steigen werden, und der Index wird zu einem KGV von 22x gehandelt. Im Gegensatz dazu wird für den MSCI Europe ex-UK für die nächsten zwölf Monate ein Gewinnwachstum von 8% prognostiziert, und der Index wird zu einem KGV von 14x gehandelt. Für die im FTSE All-Share vertretenen Unternehmen wird ein Gewinnwachstum von 8% erwartet, und das KGV basierend auf diesen Gewinnen liegt bei nur 11x. Daher ist ein beträchtliches Ausmaß der Underperformance in Europa bereits eingepreist.
Teilweise ist dieser europäische Bewertungsabschlag in den Benchmarks auf die Sektorzusammensetzung zurückzuführen. Die Region verfügt über weit weniger Technologieaktien als der US-Markt und hat daher nicht vom Optimismus der Anlegerinnen und Anleger im Zusammenhang mit KI profitiert. Stattdessen enthalten die europäischen Indizes mehr Industrie-, Finanz- und Rohstoffunternehmen, die sich infolge der gedämpften globalen Nachfrage nach Gütern, der Angst vor notleidenden Krediten und der schwächeren chinesischen Wirtschaft mit Herausforderungen konfrontiert sahen.
Allerdings wird jeder europäische Sektor derzeit mit einem Abschlag gehandelt, der deutlich über dem Normalwert gegenüber seinem US-Pendant liegt (Abbildungen 17 und 18). Dies spiegelt den allgemeinen Pessimismus der Anlegerinnen und Anleger in Bezug auf die Umsatz- und Margenaussichten in Europa wider.
Die politischen Impulse dürften größer ausfallen, als am Markt derzeit erwartet
Wir gehen davon aus, dass die neue US-Regierung zwar schnell Zölle auf China erheben wird, die Beziehungen zu Europa jedoch weniger feindselig sein werden. Dies allein schon könnte die Stimmung gegenüber europäischen Anlagen stützen.
Die handelsstarken europäischen Volkswirtschaften werden dennoch von Einschränkungen des Welthandels betroffen sein, insbesondere wenn die Europäische Union (EU) gezwungen ist, den USA zu folgen und chinesische Importe zu beschränken, um ihre Branchen vor einem Überangebot aus China zu schützen.
Ein abmindernder Faktor, den die Anlegerinnen und Anleger möglicherweise unterschätzen, ist die Reaktion der politischen Entscheidungsträger in Europa. Wir sind zuversichtlich, dass die Europäische Zentralbank ihren Lockerungspfad fortsetzen wird, da Trumps Politik die Inflation in den USA wieder ankurbeln, den Inflationsdruck in Kontinentaleuropa aber dämpfen könnte, weil der europäische Wachstumsausblick mit zollbedingten Risiken konfrontiert ist. Niedrigere Zinssätze könnten die Verbraucherinnen und Verbraucher dazu anregen, einen Teil der während der Pandemie angehäuften Ersparnisse auszugeben.
Einige europäische Regierungschefs verfügen zudem über fiskalische Hebel, die sie nutzen könnten, um den Auswirkungen einer aggressiveren Handelspolitik entgegenzuwirken, und wie der Rückgang in der Wählergunst für die fiskalisch konservative FDP in Deutschland vermuten lässt, ist dies etwas, worauf die Wähler hoffen. Zumindest dürften die Anstrengungen zum Defizitabbau sehr allmählich verlaufen, wobei die inländische Industrie, die Energie und die militärische Sicherheit wohl Vorrang haben werden.
Außerdem könnten die europäischen Länder endlich dringendere Anstrengungen unternehmen, um die mehr als 50% des Wiederaufbaufonds der EU, die noch nicht ausgezahlt wurden, einzusetzen.
In Großbritannien lässt die zugrunde liegende strukturelle Dynamik der Wirtschaft darauf schließen, dass die Inflation etwas länger anhalten könnte als in den europäischen Nachbarländern. Dennoch besteht für die Bank of England noch Spielraum, um weiterhin vorsichtig den Fuß von der Bremse zu nehmen. Und obwohl der jüngste Haushalt bereits expansiv war, gehen wir davon aus, dass die neue Regierung vermehrt unter Druck geraten wird, ihre bereits bestehenden Verpflichtungen zur Verteidigung zu erfüllen und ihre noch nicht näher bezeichneten Pläne zur Steigerung der Investitionen zu forcieren.
Möglich ist auch, dass diese politischen Überraschungen in Europa zu einer Zeit politischer Enttäuschung in den USA führen, wenn klar wird, dass Trump nicht die Unterstützung der traditionell konservativeren Republikaner im Senat für zusätzliche Unternehmenssteuersenkungen hat.
Die Entwicklung von Technologieaktien ist wichtiger als Trump
In Zeiten wie diesen ist es leicht, von der Politik in Beschlag genommen zu werden, aber häufig sind wesentlich größere Marktkräfte der Hauptfaktor für die relative Aktienmarktentwicklung. Wir sind der Meinung, dass der Ausblick für US-Technologieaktien in den kommenden vier Jahren durchaus eine größere Rolle bei der relativen Performance der US-amerikanischen gegenüber europäischen Benchmarks spielen könnte als die Politik von Trump, da 32% der US-Benchmark aus dem Technologiesektor besteht, im Vergleich zu 9% im MSCI Europe ex-UK und nur 1% im FTSE All-Share.
Wir sind der festen Überzeugung, dass US- Technologiewerte keine Blase darstellen und dass diese Unternehmen ihre Bewertungen expandieren werden, wenn die Gewinne durch die breite Einführung von Technologien steigen (Abbildung 19). Sollten die Gewinne dieser Unternehmen jedoch enttäuschend ausfallen, wird dies die relative Performance der USA stark belasten, wie nach dem Platzen der Blase im Jahr 2000 (Abbildung 20) zu beobachten war.
Die Cash-Rendite in Großbritannien wird immer ansprechender
Britische Unternehmen zahlen bekanntlich eine gesunde Dividende: 4% im FTSE All-Share, im Vergleich zu den 1% des S&P 500. Unterdessen ist die Anzahl der Aktienrückkäufe ebenfalls gestiegen, was darauf hindeutet, dass die Chief Financial Officers der in Großbritannien notierten Unternehmen ihre Aktien als zu billig erachten. Die Renditen für britische Aktienrückkäufe liegen nun über denen am US-Markt, wobei der FTSE All-Share derzeit eine Cash-Rendite von knapp 6% bietet. Darüber hinaus nehmen die Fusions- und Übernahmeaktivitäten zu, was ebenfalls ein unterstützender Faktor für die Bewertungen sein sollte.
Insgesamt scheint die Wiederwahl von Präsident Trump zwar das Narrativ der amerikanischen Outperformance zu bestätigen, doch sollten Anlegerinnen und Anleger bei der Festlegung des Umfangs einer US-Übergewichtung die oben genannten Faktoren berücksichtigen. Innerhalb des Korbs europäischer Aktien bevorzugen wir britische Aktien. Ein altes Sprichwort besagt: „Es kommt nicht nur darauf an, was man kauft, sondern auch darauf, welchen Preis man dafür bezahlt.“