Gallers Standpunkt: Wachstumsimpulse aus Fernost
Was in China passiert, bleibt normalerweise nicht in China
31-01-2023
Nach einem turbulenten Jahr des Tigers wurde in China das neue Jahr des Hasen sicher mit Erleichterung und Enthusiasmus begrüßt und das Neujahrsfest nach dem Ende der Null-Covid- Politik besonders gefeiert. Dem Sternzeichen des Hasen werden die Eigenschaften Ruhe, Besinnlichkeit und Langlebigkeit zugeschrieben, was nach den Verwerfungen von 2022 wie eine Handlungsempfehlung an die Entscheidungsträger erscheint.
Die Lockdowns im Herbst und massenhafte Infektionen im Dezember führten dazu, dass die Wachstumsrate des realen BIP auf 2,9 Prozent zum Vorjahr zurückging. Chinas Schwäche belastete zweifellos auch die Exportdynamik der ganzen Region. Die Exporte asiatischer Handelspartner nach China waren ab Mitte 2022 im Jahresvergleich rückläufig. Zwei Monate nach der Abkehr von der Zero-Covid-Politik deutet nun viel darauf hin, dass die meisten Provinzen und Städte die erste Infektionswelle überstanden haben und sich die Wirtschaftstätigkeit zu erholen beginnt. Zum Beispiel haben sich bis Mitte Januar die U-Bahn-Passagierströme in Peking und Shanghai auf 60 bis 70 Prozent gegenüber dem Niveau vor Covid erholt und in Shenzhen sogar das Niveau von vor der Pandemie überschritten.
Aufgrund der Wiederöffnung und flankierender wirtschaftspolitischer Maßnahmen erwarten wir für 2023 eine konjunkturelle Erholung. Denn vergleichbar mit den USA und Europa vor 18 Monaten besteht heute in China ein erheblicher Nachholbedarf in der Konsumnachfrage. Einschränkungen und Bedenken hinsichtlich der wirtschaftlichen Aussichten führten zu einem Anstieg der Sparquote in China, die zwischen 2020 und 2022 durchschnittlich 33 Prozent betrug, mehr als vier Prozentpunkte höher als im Durchschnitt zwischen 2015 und 2019.
Dienstleistungen und Tourismus sollten zu den großen Nutznießern der Öffnung gehören. Im Jahr 2019 reisten mehr als 150 Millionen Chinesen ins Ausland und gaben insgesamt 255 Milliarden US-Dollar aus – insgesamt rund 17 Prozent des weltweiten Marktes für Auslandsreisen. In Asien werden Hongkong und Thailand am meisten von der Rückkehr chinesischer Touristen profitieren, wo im Jahr 2029 chinesische Touristenausgaben 5,6 bzw. 3,2 Prozent ihrer jeweiligen Wirtschaftsleistung entsprachen. Seit Ende November ist die Zahl der internationalen Flüge aus China bereits um mehr als 20 Prozent gestiegen.
Die Verkäufe von Konsumgütern könnten aufgrund des zunehmenden Verbrauchervertrauens ebenfalls anziehen. Erste Daten der nationalen Steuerbehörde zeigen, dass die Chinesen die neue Freiheit für ausgiebiges Shopping genutzt haben. Der Einzelhandel verzeichnete in der Woche des 21. Januar einen Umsatzanstieg von über zwölf Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Wachstumsimpuls aufgrund der aufgestauten Nachfrage dürfte deshalb nicht nur die chinesische Wirtschaft, sondern auch die asiatischen Volkswirtschaften beleben und damit die negativen Effekte einer sich abschwächenden europäischen und US-Wirtschaft mindestens zum Teil kompensieren.
Die Wiedereröffnung Chinas wird auch Auswirkungen auf den Rohstoffmarkt haben. Zwischen 2021 und 2022 gingen Chinas Rohölimporte durchschnittlich um vier Prozent pro Monat gegenüber dem Vorjahr zurück – 2019 lag der monatliche Anstieg noch bei zwölf Prozent. Die chinesische Nachfrage nach Öl und Treibstoffen wird anziehen, wodurch der Ölpreis wieder ansteigen kann, sollten die Angebotskapazitäten nicht entsprechend erhöht werden. Rohstoffexportierenden Ländern wie Malaysia, Indonesien und Australien dürfte das zugutekommen.
Auch nach der jüngsten Rally bleiben wir in Bezug auf chinesische und asiatische Aktien angesichts der jüngsten positiven Wende im politischen Umfeld konstruktiv. 2023 haben das Wirtschaftswachstum und damit die Gewinnaussichten der Unternehmen der Region das Potenzial, die Erwartungen an den Märkten zu übertreffen. In Europa und den USA hingegen erscheinen die Erwartungen eines Gewinnwachstums von drei Prozent für das Kalenderjahr vor dem Hintergrund einer drohenden Rezession immer noch zu hoch. Asiatische Aktien bieten somit eine gute Diversifikation gegen einen Abschwung in den USA und Europa. Wenn jetzt noch das Jahr des Hasen seinen ihm zugeschriebenen Eigenschaften gerecht werden sollte, steht einer erfreulichen Wertentwicklung der Region nicht mehr viel im Weg.