Wohnimmobilien auf dünnem Eis
Droht in Zeiten höherer Zinsen Immobilienbesitzern ein erheblicher Wertverlust?
Die Wohnungsmärkte haben seit der globalen Finanzkrise einen wahren Boom erlebt; Immobilienkäufer konnten von rekordniedrigen Kreditkosten profitieren. Die Frage ist nun, ob das neue Umfeld höherer Zinsen zu einem weiteren Immobiliencrash und einer umfassenderen Finanzkrise führen wird.
Die Entschlossenheit der Zentralbanken, die Inflation wieder auf Zielwert zu bringen, hat die Fundamentaldaten des Immobilienmarktes verändert. In den USA, Großbritannien und der Eurozone gab es die schnellsten Zinserhöhungszyklen seit mehr als 30 Jahren. In der Folge verdoppelten sich die Hypothekenzinsen in den USA und verdreifachten sich sogar in den meisten europäischen Ländern. Angesichts des starken Anstiegs der Immobilienpreise in den letzten Jahren hat der Anstieg der Zinssätze die „Erschwinglichkeit“ von Eigenheimen auf den niedrigsten Stand seit 2006 gedrückt. Die Wohnungstransaktionen sind bereits stark zurück gegangen und die Hauspreisdaten in der zweiten Jahreshälfte deuteten auf eine Abschwächung des Preisumfelds in Nordamerika und Europa hin (Abb. 1).
Abbildung 1: Nominelle Hauspreise
Quelle: OECD, J.P. Morgan Asset Management. Daten zum 31. Dezember 2022.
Die Fallhöhe ist in der Tat beachtlich. Seit den Tiefstständen der Finanzkrise stiegen die Immobilienpreise weltweit um 75 Prozent, wodurch Immobilienmärkte in Nordamerika und den meisten europäischen Ländern in überbewertetes Territorium gelangten. Eine gute Kennzahl für deren Ausmaß ist das Verhältnis zwischen Hauspreisen und verfügbaren Einkommen (Abb. 2). Je höher der Wert desto teurer die Immobilienmärkte. In vielen großen entwickelten Volkswirtschaften ist derzeit dieses Verhältnis nahe oder auf historischen Höchstständen, denn das Wachstum des verfügbaren Einkommens konnte in den letzten Jahren mit dem Hauspreisanstieg nicht mithalten. Das hohe Bewertungsniveau macht die heutigen Wohnungsmärkte deutlich anfälliger für höhere Zinssätze und Finanzierungskosten.
Abbildung 2: Verhältnis der Hauspreise zum frei verfügbaren Einkommen privater Haushalte
Quelle: Federal Reserve Bank of Dallas, J.P. Morgan Asset Management. Daten zum 31. Januar 2023.
Die Relevanz der Kennzahl Hauspreis zum verfügbaren Einkommen für den Wohnungsmarkt lässt sich mit dem Kurs-Gewinn-Verhältnis von Aktien vergleichen. Kurzfristig hat es wenig Relevanz, aber Bewertungen spielen für die langfristige Wertentwicklung eine Rolle. Beispielsweise erlebten die USA in den letzten 50 Jahren nur zwei Perioden mit größeren nominalen Hauspreisrückgängen. Beide Zeiträume ereigneten sich, nachdem die Schere zwischen Häuserpreise und Einkommen weit aufgegangen ist. In beiden Fällen war eine deutliche Straffung der Geldpolitik der Auslöser für das Ende des Überschwangs am Immobilienmarkt.
Trotz Korrekturbedarf bei den Preisen erwarten wir aus zwei Gründen keine Wiederholung der Immobilien- und Finanzkrise. Erstens unterscheidet sich die derzeit nur moderate Investitionstätigkeit zum Jahr 2006, als in den USA beispielsweise aufgrund übermäßiger Bauaktivität ein großer Angebotsüberhang bestand. Der Leerstand bei Vermietung lag per Ende 2022 mit 5,8 Prozent deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt von 7,3 Prozent. Die Angebotsknappheit dürfte die Hauspreiskorrektur kurzfristig abmildern und sich in Rückenwind verwandeln, sobald Zinsen und Finanzierungskosten moderater werden. Zweitens sind im Vergleich zu 2006 die Banken besser kapitalisiert, die Kreditqualität der Hypothekenfinanzierung ist höher und die Laufzeiten der Hypotheken sind länger. Die Risiken für den Bankensektor sind heute eher idiosynkratisch als systembedingt.
Damit die Wohnungsmärkte ihr Gleichgewicht finden können, muss sich die Erschwinglichkeit normalisieren. Dies kann auf drei Arten geschehen: Erstens die Preise fallen, zweitens das verfügbare Einkommen steigt und drittens die Finanzierungskosten sinken. Unserer Ansicht nach besteht eine gute Chance, dass alle drei Variablen in näherer Zukunft zur Normalisierung der Erschwinglichkeit beitragen. Während eine Korrektur der Immobilienpreise unvermeidlich erscheint, ist eine der Schlüsselvariablen, die das Ausmaß des Abschwungs bestimmen werden, der Erfolg der Zentralbanken bei der Eindämmung der Inflation. Unser Basisszenario ist, dass die Zentralbanken in der Lage sein werden, die Straffung zumindest bei nachlassendem Inflationsdruck zu unterbrechen und in den folgenden Jahren zu einer moderaten Geldpolitik zurückzukehren. Damit wird die Abwärtsbewegung auf dem Immobilienmarkt begrenzt und eine Finanzkrise unwahrscheinlich.
Tilmann Galler ist globaler Kapitalmarktstratege bei
J.P. Morgan Asset Management in Frankfurt
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