Dennoch könnte es mit dem Abklingen der konjunkturellen Belastungen zu einer Neubewertung von Small-Cap- Aktien vom gegenwärtig niedrigen Niveau kommen.
In der Vergangenheit wurden Small-Cap-Aktien am Markt immer mit einer Prämie gegenüber Unternehmen mit großer Marktkapitalisierung gehandelt. Zum ersten Mal seit 20 Jahren ist dieser Aufschlag nicht mehr zu beobachten. Die gegenwärtige Kursschwäche hat konjunkturelle Ursachen, aber auch strukturelle Faktoren wie der zunehmende Anteil unrentabler Unternehmen und ein ungünstiger Sektor-Mix tragen dazu bei. Aufgrund dieser Verschiebungen ist es unwahrscheinlich, dass es künftig wieder einen größeren Small-Cap-Aufschlag geben wird. Dennoch werden die konjunkturellen Belastungen irgendwann nachlassen, was zu Anlagechancen in diesem Segment des Aktienmarktes führen dürfte.
Vor der Corona-Pandemie eigneten sich Small-Cap-Aktien häufig gut für Anlegerinnen und Anleger, die größere Risiken tolerieren können, um das Ertragspotenzial ihres Portfolios zu steigern. Die Anlageklasse lieferte über mehrere Jahrzehnte langfristig höhere Erträge als Large-Caps, weshalb Small-Caps mit höheren Bewertungen gehandelt wurden als ihre Pendants im Large-Cap-Bereich. Häufig wurden bessere Aussichten für Fusionen und Übernahmen, geringere Liquidität und ein größeres intrinsisches Wachstumspotenzial als Gründe für diese höheren Bewertungen von Small-Caps angeführt.
Nach einer längeren Phase mit schwacher Performance gibt es diesen Small- Cap-Aufschlag jedoch nicht mehr. Der MSCI World Small Cap Index weist heute ein Forward-KGV von 15 auf, was deutlich unter der Bewertung des MSCI World mit 16,9 (und dem langfristigen Mittelwert von 17,7) liegt.
Das Verschwinden des Small-Cap-Aufschlags ist teilweise auf konjunkturelle Ursachen zurückzuführen. Aktien mit kleiner Marktkapitalisierung sind in der Regel stärker an den Konjunkturzyklus gekoppelt und haben einen größeren Fremdkapitalanteil als größere Unternehmen. Gegen Ende eines Konjunkturzyklus mit latenter Rezessionsgefahr und höheren Zinsen sehen kleinere Unternehmen deshalb weniger attraktiv aus.
Small-Caps reagieren insbesondere empfindlicher auf die jüngsten Zinserhöhungen, bei denen es sich um die kräftigsten Erhöhungen seit mehreren Jahrzehnten handelte. Die Schulden kleinerer Unternehmen sind häufiger variabel verzinst, und ihre festverzinslichen Schulden haben kürzere Laufzeiten, woraus sich ein größerer Refinanzierungsbedarf ergibt. Beispielsweise sind 38% der Schulden im Russell 2000 (ohne Finanzunternehmen) variabel verzinst. Im S&P 500 liegt dieser Wert bei nur 7%.
Die Small-Cap-Prämie ist auch ein Opfer struktureller Probleme geworden. Heutzutage stehen bei der Eigenkapitalfinanzierung für kleinere Unternehmen große Mengen von Private Equity und Venture Capital im Wettbewerb mit den öffentlichen Märkten. Immer mehr vielversprechende Unternehmen entscheiden sich gegen einen Börsengang oder verschieben diesen, weil die zunehmende Regulierung der öffentlichen Märkte sie abschreckt. Kleinere Unternehmen werden auch häufiger als früher wieder privatisiert. Dadurch entsteht in den Small-Cap-Indizes tendenziell eine Negativauswahl.
Im Lauf der letzten Dekade hat die Qualität der Small-Cap- Indizes nachweislich abgenommen. Vor der Finanzkrise machten unrentable Unternehmen im Durchschnitt 27% des Russel 2000 aus. Heute liegt dieser Anteil bei 45%. Deshalb haben die Anlegerinnen und Anleger wahrscheinlich Recht, wenn Sie bei Aktien mit kleinerer Kapitalisierung eine höhere Risikoprämie verlangen, was sich in niedrigeren Bewertungen bemerkbar macht.
Zusätzlich zum Rückgang der Qualität sind im Sektor-Mix von Small-Cap-Indizes zahlreiche Branchen mit stärkeren Wachstumsraten und höherer Innovationsneigung unterrepräsentiert. Im MSCI World Small Cap Index liegt die Gewichtung der Technologie- und Kommunikationssektoren um 12 und 4 Prozentpunkte unter ihrer Gewichtung im MSCI World. Im Gegensatz dazu sind Industriewerte (20%) und Immobilien (8%) sehr stark vertreten. Dies hat zu einer Konvergenz des Ergebniswachstums der Large-Capund Small-Cap-Indizes geführt. Das durchschnittliche Ergebniswachstum von US-Small-Caps hat dasjenige der Large-Caps seit 2010 bis heute nicht übertroffen.1
Angesichts dieser strukturellen Probleme erwarten wir nicht, dass der Bewertungsaufschlag für Small-Caps wieder die 50% erreicht, die während der letzten 20 Jahre im Durchschnitt zu verzeichnen waren.2
Dennoch könnte es mit dem Abklingen der konjunkturellen Belastungen zu einer Neubewertung von Small-Cap- Aktien vom gegenwärtig niedrigen Niveau kommen. In der Vergangenheit hat sich das Kaufen von Small-Caps in Rezessionen als erfolgreiche Strategie erwiesen, weil die Wahrscheinlichkeit von Leitzinssenkungen und die Aussichten auf eine Konjunkturerholung kleinen Unternehmen stärker zugute kommen als ihren großen Pendants. In den drei Jahren nach dem Beginn einer Rezession hat der Russell 2000 die Wertentwicklung des S&P 500 im Durchschnitt um 22 Prozentpunkte geschlagen.3
Es mag also noch zu früh sein, um die beispiellos niedrigen Bewertungen von Small-Caps zu nutzen, wir erwarten jedoch, dass es zukünftig wieder eine kleine Small-Cap-Prämie geben wird. Unser Basisszenario für 2024 sieht milde Rezessionen in allen Industrieländern vor (weitere Informationen dazu finden sich in unserem Investment-Ausblick 2024. In diesem Szenario bieten sich in den Börsensegmenten mit kleineren Marktkapitalisierungen Chancen für die Anlegerinnen und Anleger – wobei angesichts der hohen Streuung der Qualität von Small-Cap-Indizes ein aktiver Ansatz ratsam sein dürfte.
Fazit
Kleinere Unternehmen werden derzeit zu besonders geringen Bewertungen im Verhältnis zu ihren größeren Pendants gehandelt. Das Verschwinden der Small-Cap-Prämie lässt sich teilweise durch strukturelle Probleme erklären, es ist aber auch auf konjunkturelle Belastungen zurückzuführen, z. B. auf hohe Zinsen und latente Rezessionsrisiken. Für längerfristig orientierte aktive Anlegerinnen und Anleger bieten diese Bewertungen eine Chance: Wenn die konjunkturellen Belastungen abklingen, haben kleinere Unternehmen das Potenzial, sich überdurchschnittlich zu entwickeln und die Rückkehr eines moderaten Small-Cap-Aufschlags zu bewirken.