Anlegerinnen und Anleger sollten bedenken, dass der S&P 500 nicht die US-Wirtschaft darstellt.
Die Rezessionsängste in den USA haben zuletzt ihren Höchststand erreicht, wobei die Sorgen um den Zustand des Arbeitsmarktes zu Volatilität an den Aktienmärkten führten. Auf den ersten Blick scheint eine Abkühlung der Wirtschaft im Widerspruch zu den Prognosen von Analystinnen und Analysten des Aktienmarkts zu stehen, die nach mehreren Quartalen, in denen die „Glorreichen Sieben“ dominiert haben, nun eine Ausweitung des US-Gewinnwachstums erwarten.
Jedoch sind es die Details in diesen Prognosen, die es zu beachten gilt. Angesichts der Gewinnprognosen ist es plausibel, dass sich die Gewinne mit Abkühlung der US-Wirtschaft ausweiten.
Eine richtige Rezession wäre eher eine Herausforderung, aber dies ist nicht unser Basisszenario. Anlegerinnen und Anleger sollten sich dennoch der Abwärtsrisiken für die Wirtschaft bewusst sein und bedenken, dass Risikoanlagen weiterhin besonders empfindlich auf Wirtschafts- und Gewinndaten reagieren dürften.
Die Widerstandsfähigkeit von Aktienportfolios erfordert daher Ausgewogenheit. Dazu gehören die Diversifizierung nach Sektor und Stil sowie nach zyklischen und defensiven Werten und die Konzentration auf Qualitätsunternehmen.
Die Wirtschaft ist nicht der Aktienmarkt
Im Laufe des Jahres 2023 und im ersten Halbjahr 2024 verzeichneten nur eine Handvoll Aktien im S&P 500 Index ein Gewinnwachstum. Die Glorreichen Sieben steigerten ihre Gewinne 2023 gegenüber dem Vorjahr um 31%, da die weltweite Nachfrage nach Technologie stieg, während die Gewinne bei den restlichen Unternehmen im S&P 500 tatsächlich rückläufig waren.
Dennoch war dies das Jahr, in dem die Gesamtwirtschaft ein nominales Wachstum von über 6% verzeichnete. Diese Diskrepanz zwischen der Entwicklung der US-Wirtschaft und den Unternehmensgewinnen ist wichtig und der Hauptgrund, warum wir es für möglich halten, dass sich die Wirtschaftstätigkeit verlangsamt, während die Gewinne steigen.
Bei näherer Betrachtung der heutigen Gewinnprognosen wird deutlich, warum das so ist. Das Gewinnwachstum der Glorreichen Sieben und der übrigen Unternehmen im S&P 500 dürfte sich bis zum letzten Quartal 2024 deutlich annähern, was für die Nicht-Megacap-Unternehmen einen deutlichen Anstieg der Gewinne bedeuten würde.
Ein Großteil dieser positiven Gewinnprognosen spiegelt einen idiosynkratischen, sektorspezifischen Rückenwind wider. So erzielten beispielsweise einige Branchen – wie Energie und Grundstoffe – im Jahr 2022 ein außergewöhnliches Gewinnwachstum, wobei die Gewinne durch einen Anstieg der globalen Rohstoffpreise beflügelt wurden. Auch das Gesundheitswesen verzeichnete dank der Nachfrage im Zusammenhang mit Covid ein starkes Gewinnwachstum. Diese Stärke wurde jedoch im Jahr 2023 wieder wettgemacht, als sich das Niveau des Gewinns je Aktie in diesen Sektoren normalisierte.
Da diese Ausgleichsphase ausklingt, wird eine deutliche Verbesserung der Gewinne in diesen Branchen prognostiziert – ein Faktor hinter den Konsenserwartungen für eine breitere Gewinnbeteiligung.
Andernorts am US-Aktienmarkt dürfte sich das nachlassende Lohnwachstum besonders positiv auf arbeitsintensive Branchen auswirken. Diese Sektoren hatten in letzter Zeit mit einer Margenverknappung zu kämpfen, da die Arbeitskosten in den USA langsamer sanken als die Inflation – eine Herausforderung für Sektoren, die weniger in der Lage sind, den Kostendruck weiterzugeben, wie z. B. Industriegüter und nichtzyklische Konsumgüter. Da sich das Lohnwachstum jedoch weiter normalisiert, sollte der Margendruck nachlassen.
Schließlich wird erwartet, dass eine Verbesserung des globalen Produktionszyklus das allgemeine Ertragswachstum unterstützen wird. Nach einer Phase der pandemiebedingten Stärke ging die globale Nachfrage nach Gütern im Jahr 2023 deutlich zurück. Zugewinne bei den Stimmungsindizes für das verarbeitende Gewerbe deuten jedoch darauf hin, dass sich die Nachfrage verbessern könnte, was insbesondere dem Industriesektor Auftrieb verleihen würde.
Zwar rechnen wir mit Leitzinssenkungen durch die Federal Reserve in den nächsten 18 Monaten, erwarten aber auch, dass sich die Zinssätze auf einem höheren Niveau als in den 2010er Jahren einpendeln werden. Neben einer sich abkühlenden, aber nicht kollabierenden US-Wirtschaft könnte dies auch die Gewinne der Finanzwerte stützen, da die Nettozinsmargen stärker bleiben.
Abkühlung ist gut, Rezession eher eine Herausforderung
Auch wenn wir der Ansicht sind, dass eine Verlangsamung der US-Wirtschaftsaktivität den aktuellen Gewinnerwartungen nicht unbedingt widerspricht, würde eine Rezession die heutigen Prognosen eines breiteren Gewinnwachstums im gesamten S&P 500 Index ganz klar in Frage stellen. Sektoren wie Industrie und Finanzwesen würden sich in einer Zeit starker Konsumschwäche schwer tun, die heutigen Konsensgewinnzahlen zu erreichen.
Eine Phase erheblicher wirtschaftlicher Schwäche ist jedoch nicht unser Basisszenario. Die Fundamentaldaten der Unternehmen bleiben stark und der Personalabbau ist nach wie vor verhalten. Der jüngste Anstieg der Erwerbstätigenquote in den USA ist zum Teil auf die starke Zuwanderung und die hohe Erwerbsbeteiligung zurückzuführen und nicht nur auf den Anstieg der Arbeitslosenzahlen.
Auch wenn in den USA eine Abkühlung zu beobachten ist, sehen wir keine extremen Auswüchse, die typischerweise zu einem heftigen Abschwung führen. Die Verschuldung der Privathaushalte hält sich in Grenzen, und das Investitionsniveau ist moderat.
Fazit
Wir sehen keinen Grund dafür, sich über die Fundamentaldaten des US-Aktienmarktes Sorgen zu machen. Die Konsensprognosen für die US-Gewinne erscheinen angesichts unseres Basisszenarios einer sich verlangsamenden – und nicht kollabierenden – US-Wirtschaft nicht übermäßig optimistisch. Anlegerinnen und Anleger sollten bedenken, dass der S&P 500 nicht die US-Wirtschaft darstellt.
Dennoch werden die Märkte angesichts der Wahrnehmung eines erhöhten Rezessionsrisikos weiterhin auf die eingehenden Daten reagieren. Anlegerinnen und Anleger sollten daher ihre Aktienallokationen überprüfen, um sicherzustellen, dass ihre Portfolios nicht übermäßig empfindlich auf potenzielle Gewinnenttäuschungen oder auf die Volatilität der wirtschaftlichen Erwartungen reagieren.
Ausgewogenheit ist der Schlüssel. Eine Diversifizierung über Sektoren und Stile hinweg sowie eine Konzentration auf Qualitätsunternehmen erscheint angesichts der nach wie vor hohen Unsicherheit über den weiteren Verlauf der Entwicklung umsichtig.