Globale LTCMA-Kundenumfrage: Wichtige Erkenntnisse zur Rolle von alternativen Anlagen, Anleihen und ESG
15-02-2021
Zusammenfassung
Als wir im November 2020 die 25. Ausgabe unserer Long-Term Capital Market Assumptions (LTCMA) veröffentlichten, führten wir bei zahlreichen Online-Präsentationen auf der ganzen Welt eine Umfrage durch. Ziel war, damit eine Momentaufnahme der Einstellung institutioneller Investoren zu den Herausforderungen extrem niedriger Anleihenrenditen, der Bedeutung von ESG (Umwelt, Soziales und Governance) für die Anlageentscheidungen und der Verwendung alternativer Anlagen zu erhalten.
NULLZINSUMFELD: Der häufigste Ansatz für den Umgang mit Null- oder Negativrenditen im Anleihenbereich scheint die stärkere Nutzung eines aktiven Managements zu sein – ein Gedanke, der den Mittelflüssen von aktiven zu passiven Fonds in den letzten zehn Jahren widerspricht.
ESG-ANLAGEN: In Europa und Neuseeland gehören ESG-Aspekte für die Hälfte der Befragten zu den drei wichtigsten Faktoren ihrer Anlageentscheidungen, während ESG in Nordamerika für fast 40 % der Befragten überhaupt keine Rolle spielt. Wir gehen davon aus, dass sich dieses Muster in den kommenden Jahren rasch weiterentwickeln wird, aber vorerst unterstreicht es den vorherrschenden – wenn auch fragilen – Vorteil Europas in Bezug auf erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit.
ALTERNATIVE ANLAGEN: Die meisten Teilnehmer unserer Umfrage setzen alternative Anlagen ein; interessanterweise werden die Erträge alternativer Investments von weniger als 5 % der Inhaber als Anlagegrund angeführt. Wir finden dies angesichts des Nullzinsniveaus erstaunlich, da wir der Meinung sind, dass die attraktiven Renditen für qualitativ hochwertige Anlagen wie etwa Real Assets die Bedenken aufgrund der pandemiebedingten Veränderung der Arbeitsgewohnheiten mehr als ausgleichen sollten.
FAQs: Diese sieben Fragen bringen zum Ausdruck, was viele Investoren beschäftigt, wenn sie unseren 10- bis 15-jährigen LTCMA-Ausblick betrachten.
NEUER ZYKLUS – ERTRÄGE UNTER DRUCK
Die 25. Ausgabe des langfristigen Kapitalmarktausblicks LTCMA beschreibt den Beginn eines neuen Konjunkturzyklus im Anschluss an die pandemiebedingte Rezession von 2020. Der Zyklus dürfte anders verlaufen als der Vorherige – nicht zuletzt bedingt durch die geballte Wirkung der fiskal- und geldpolitischen Anreize. Dass Geld- und Fiskalpolitik heute die gleiche Stoßrichtung verfolgen ist dabei nur einer der Unterschiede zu den 2010er Jahren.
Die Schäden durch die Pandemie scheinen sich in Grenzen zu halten, sodass sich die Erwartungen an das Trendwachstum kaum verändert haben. Obwohl sich mittelfristig einige Aufwärtsrisiken für die Inflation abzeichnen, sind auch die zentralen Inflationsprognosen weitgehend konstant geblieben. Die Anlageerträge stehen jedoch unter Druck. Extrem niedrige Renditen schmälern die Anleihenerträge deutlich, und die hohen Bewertungen stellen einen Gegenwind für Aktien dar. Lichtblicke bleiben dagegen alternative Anlagen, insbesondere Real Assets. Wir haben unseren LTCMAs für 2021 den Titel „Ein neues Portfolio für ein neues Jahrzehnt“ gegeben, um hervorzuheben, dass wir zwar optimistisch sind, wie es sich für einen neuen Konjunkturzyklus gehört, traditionelle Balanced-Portfolios mit 60 Prozent Aktien und 40 Prozent Anleihen in den nächsten Jahrzehnten aber durchaus hinterfragt werden dürften. Um Erträge zu erzielen, werden die Anleger andere Risikoprämien finden und monetarisieren müssen als das einfache Marktrisiko.
Drei wichtige Themen sind in unsere LTCMA-Prognosen eingeflossen: die künftige Rolle von Anleihen in den Portfolios, die Bedeutung von ESG-Kriterien (also die Themen Umwelt, Soziales und Governance) für die Anlageentscheidungen und der zunehmende Einsatz alternativer Anlageklassen. Folgende Kurzbefragung haben wir bei unseren Präsentationen dazu durchgeführt:
- Wie reagieren Sie auf die niedrigen bis negativen Renditen an den globalen Märkten für Staatsanleihen?
- Wie wichtig sind ESG-Kriterien für Ihre Anlageentscheidungen?
- Was ist das primäre Ziel Ihrer Allokation in alternativen Anlagen?
Diese bewusst einfach gehaltenen Fragen offenbaren doch einige sehr interessante Muster in den verschiedenen Regionen. Einige bestätigen Erkenntnisse, die wir aus anderen Untersuchungen gewonnen haben; andere veranschaulichen wichtige Anlagetrends, die in den 2020er Jahren eine Rolle spielen werden.
DER UMGANG MIT DEM NULLZINSUMFELD
Unsere erste Frage betraf die sehr niedrigen Renditen von Staatsanleihen (Abbildung 1). Derzeit beträgt die Rendite des weltweiten Index für Staatsanleihen nur 0,7 Prozent, und über unseren 10- bis 15-jährigen LTCMA-Prognosehorizont rechnen wir bei allen maßgeblichen Staatsanleihen mit negativen realen Erträgen. Ein solches Umfeld stellt Investoren aller Art vor große Herausforderungen. Dennoch gab rund ein Sechstel der von uns befragten Investoren an, dass sie die Verwendung von Anleihen in ihren Portfolios unverändert beibehalten würden. Regional war dieser Wert in den USA am höchsten, was möglicherweise auf die höheren absoluten Renditen für US-Staatsanleihen zurückzuführen ist. Relativ hoch war er jedoch auch in Europa und insbesondere in Großbritannien, wo die Anleihenrenditen wesentlich niedriger sind. Die Antworten europäischer Investoren spiegeln eventuell auch die regulatorischen Anforderungen an das Engagement in Staatsanleihen wider, ebenso wie die anhaltende Bedeutung, die sogar Anleihen mit sehr geringen Renditen für die Verwaltung von Portfolios mit LDI-Strategien haben, bei denen die Verbindlichkeiten im Vordergrund stehen (Liability-Driven Investing).
ABBILDUNG 1
Wie reagieren Sie auf die niedrigen bis negativen Renditen am globalen Markt für Staatsanleihen?
Befragung bei verschiedenen virtuellen LTCMA-Präsentationen im vierten Quartal 2020. Gesamtzahl der Befragten = 1.764, davon 104 aus Deutschland und Österreich.
Interessanterweise gaben trotz der Tendenz zu passiven Anlagen in den letzten zehn Jahren 36 Prozent der Befragten an, dass sie mit einem aktiven Ansatz auf die niedrigen Anleihenrenditen reagieren würden. Dieser Anteil stieg bei den US-Befragten auf mehr als 40 Prozent. Dies stimmt mit unserer Ansicht überein, dass es angesichts negativer Zinssätze keinen Platz mehr für eine passive Anleiheninvestition gibt. Eine geringere Allokation in festverzinslichen Wertpapieren ist ein weiterer Ansatz, der jedoch oft mit einem höheren Portfoliorisiko einhergeht. Australische Investoren zogen es am ehesten vor, ihre Allokation zu reduzieren, was bei den US-Anlegern am wenigsten der Fall war – trotz der Tatsache, dass unsere Prognosen der Gesamterträge für US-amerikanische und australische Benchmarkanleihen ähnlich ausfallen und am oberen Ende der maßgeblichen Staatsanleihenmärkte liegen. Auch bei den Befragten aus Detuschland und Österreich ist der Anteil derjenigen, die ihre Allokation reduzieren möchten mit 38 Prozent überdurchschnittlich hoch.
Asiatische Investoren interessierten sich am ehesten für andere sichere Vermögenswerte wie z. B. Währungen anstelle einer Anleihenallokation, aber weltweit bevorzugten nur 16 Prozent der Befragten diesen Ansatz. Das hat uns etwas überrascht, da einige Währungen – insbesondere der US-Dollar und der Schweizer Franken – allgemein als sichere Häfen gelten. Wir räumen allerdings ein, dass die Währungskorrelationen mit Risikoanlagen etwas unbeständiger sein können als die Korrelationen zwischen Aktien und Anleihen, was ihre Attraktivität beeinträchtigen könnte. Wenn wir uns die Anlagemärkte umfassender ansehen, gehen wir davon aus, dass die Anleger angesichts des niedrigen Zinsniveaus zunehmend auf sichere Alternativen zu Anleihen ausweichen werden. Insofern hätten andere sichere Häfen bei unserem Publikum eventuell besser abgeschnitten, wenn wir die Währungen nicht in den möglichen Antworten erwähnt hätten.
DIE AUSWIRKUNGEN VON ESG-ANLAGEN
Ein starker Trend wird in den 2020er Jahren sicherlich weiter an Dynamik gewinnen: die ESG-Anlagen. In der 25. Ausgabe unserer LTCMA argumentieren wir, dass sich die Innovationen der nächsten 10 bis 15 Jahre möglicherweise auf erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit konzentrieren werden. So wie das explosive Innovationstempo im Bereich Software, Robotik und künstliche Intelligenz in den letzten zwanzig Jahren das Wirtschaftswachstum vorangetrieben hat, könnten sich grüne Technologien und Infrastruktur in den nächsten zwei Jahrzehnten als wichtiger Wachstumsmotor erweisen.
ESG-Investitionen spiegeln diesen langfristigen Wandel wider, aber insbesondere reagieren sie auf eine wachsende Nachfrage der Privatanleger, die darauf achten, dass ihre Investments sowohl Nachhaltigkeits- und Umweltstandards (das „E“ wie Environmental) als auch geeignete Kriterien in Bezug auf soziale und Governance-Fragen (das „S“ und das „G“) erfüllen. Mehr als drei Viertel der Befragten in unserer globalen Umfrage gaben ESG-Kriterien als eine Überlegung bei ihren Anlageentscheidungen an. Wir haben jedoch einige wichtige regionale Unterschiede festgestellt (Abbildung 2).
ABBILDUNG 2
Wie wichtig sind ESG-Kriterien für Ihre Anlageentscheidungen?
Befragung bei verschiedenen virtuellen LTCMA-Präsentationen im vierten Quartal 2020. Gesamtzahl der Befragten = 1.737, davon 154 aus Deutschland und Österreich.
Bei den europäischen Befragten stuft mit 46 Prozent fast die Hälfte ESG-Faktoren als eine der Top 3 Überlegungen ein. In Deutschland und Österreich sind es mit 48 Prozent sogar noch mehr der Befragten. Bei mehr als 40 Prozent sind diese Nachhaltigkeitsfaktoren immerhin unter den 10 wichtigsten Anlagekriterien. Lediglich 7% geben an, dass ESG in ihren Anlageentscheidungen überhaupt keine Rolle spielt. Nur in Neuseeland achten Anleger noch stärker auf ESG-Themen als in Europa. Bei den Investoren in anderen Teilen des asiatisch-pazifischen Raums deuten die Antworten auf ein wachsendes Engagement für ESG-Anlagen hin, das nur geringfügig hinter dem ihrer europäischen Kollegen zurückbleibt.
Im Gegensatz dazu berücksichtigen fast 40 % der Befragten in Nordamerika derzeit keine ESG-Überlegungen in ihren Anlageentscheidungen. Obwohl dies größtenteils ein US-amerikanisches Phänomen ist (95 % der kanadischen Investoren in unserer Umfrage berücksichtigen ESG-Faktoren), sind ESG-Kriterien in ganz Nordamerika nur für 12 % der Befragten der wichtigste oder einer der drei wichtigsten Faktoren für ihre Anlageentscheidungen.
Unsere Umfrageergebnisse zur Einstellung in Bezug auf ESG-Faktoren stimmen mit einem breiten regionalen Fokus auf Nachhaltigkeits- und Klimathemen überein. Seit einiger Zeit stehen grüne Themen in Europa höher auf der politischen Agenda als in vielen anderen Regionen. Dies könnte mit der politischen Struktur in vielen europäischen Ländern zusammenhängen, die von Koalitionsregierungen geprägt ist, sodass auch kleinere Parteien mit einer grünen Agenda einen bedeutenden Einfluss ausüben können.
Der europäische Ansatz entspricht auch der Einstellung der Bevölkerung bezüglich der Nachhaltigkeit in Schlüsselbereichen wie dem Verkehr. Zum Beispiel beträgt die Pkw-Nutzung gemessen an den Passagierkilometern pro Kopf in Europa ungefähr zwei Drittel des US-Niveaus, während der Zugverkehr mehr als zehnmal höher ist. Außerdem ist die Agenda für grüne Energie in Europa relativ weit fortgeschritten. Dies hängt zum Teil mit Europas Position als Preisnehmer auf den globalen Energiemärkten zusammen – was wiederum einen geostrategischen Anreiz zum Aufbau einer nachhaltigen Energieinfrastruktur schafft, die von den globalen Ölpreisen unabhängig ist.
Gleichwohl ist die globale Klimaagenda sicherlich ein Phänomen für mehrere Jahre und wahrscheinlich sogar mehrere Jahrzehnte. Auch wenn Europa jetzt vielleicht einen frühzeitigen Vorteil genießt, sowohl bei der Anlegerakzeptanz für ESG als auch bei der Unterstützung der Nachhaltigkeit in der Bevölkerung und auf Regierungsseite, wäre es naiv, die USA außen vor zu lassen. Aus unserer Sicht werden umweltfreundliche Investitionen unter der neuen Regierung von Präsident Joe Biden an Bedeutung gewinnen, und damit auch der Stellenwert von ESG-Faktoren in den Anlageentscheidungen. Dennoch: Eine Schlüsselfrage für Europa – und für Investitionen in europäische Vermögenswerte in den 2020er Jahren – wird darin bestehen, ob europäische Unternehmen ihren frühen Vorteil bei erneuerbaren Technologien in einen Wachstumsmotor für die Wirtschaft umwandeln können, so wie das Silicon Valley den frühen Vorteil der USA in der Software- und E-Commerce-Branche erfolgreich monetarisiert hat.
ALTERNATIVE ANLAGEKLASSEN WERDEN ZUM MAINSTREAM
Unsere letzte Frage bezog sich auf die Verwendung alternativer Anlageklassen (Abbildung 3). In der 25. Ausgabe der LTCMA gehören die Alternatives – und insbesondere reale Vermögenswerte – zu den Lichtblicken in einem ansonsten relativ mageren Spektrum der Anlageerträge. Zudem glauben wir, dass sich der Zugang zu alternativen Anlagen in den nächsten zehn Jahren erheblich verbessern wird. Immer mehr Investoren und Sparer werden künftig in der Lage sein, alternative Vermögenswerte im Rahmen ihrer Allokation zu nutzen.
Die Einwände gegen alternative Anlagen beruhen häufig auf Bedenken hinsichtlich der Liquidität und Transparenz, wohingegen die Alpha-, Ertrags- und Diversifikationsvorteile mitunter nicht vollständig gewürdigt werden. Bei einigen Anlegern, die mit variablen und unmittelbaren Rücknahmeforderungen an ihre Portfolios umgehen müssen, können die Liquiditätsbedenken sicherlich gerechtfertigt sein. Für längerfristige Investoren und solche mit vorhersehbaren Portfolioabflüssen erscheinen die Risikoprämien für die Illiquidität im Vergleich zu den Marktrisikoprämien dagegen attraktiv bewertet. Unabhängig davon scheinen die Bedenken hinsichtlich der hohen Liquidität in manchen alternativen Anlageklassen im Widerspruch zu den sich verbessernden Alpha-Trends und den stabilen bis positiven Aussichten zu stehen, die wir für das Alpha in den nächsten zehn Jahren prognostizieren.
ABBILDUNG 3
Das primäre Ziel meiner Allokation in alternativen Anlagen ist:
Befragung bei verschiedenen virtuellen LTCMA-Präsentationen im vierten Quartal 2020. Gesamtzahl der Befragten = 1.594, davon 124 aus Deutschland und Österreich.
Fast 88 Prozent der Befragten weltweit verwenden alternative Anlagen in der einen oder anderen Form. Da diese Zahl auf den ersten Blick recht hoch erscheint, ist anzumerken, dass größere institutionelle Anleger in unserer Befragung überrepräsentiert waren. Außerdem umfasst unsere Klassifizierung alternativer Anlagen einige häufig gehaltene Anlageklassen wie beispielsweise Immobilien und Rohstoffe, was das Ergebnis ebenfalls beeinflusst haben könnte. Für diese Kurzbefragung haben wir uns mit den Unterklassen alternativer Anlageklassen nicht näher befasst; stattdessen konzentrierten wir uns darauf, warum sich die Investoren für alternative Anlagen in ihren Portfolios entschieden haben.
Fast die Hälfte (47 Prozent) derjenigen, die alternative Anlagen einsetzen, nutzt diese aus allen drei Gründen, die für eine Investition in alternative Anlageklassen sprechen, also Alpha, regelmäßige Erträge oder Diversifikation. Wenn die Anleger jedoch eine einzelne Begründung angaben, war die Diversifizierung insbesondere bei europäischen Anlegern bei weitem die wichtigste Motivation. Dies erschien uns interessant und ist angesichts der hohen Bewertungen von traditionellen Aktien und festverzinslichen Wertpapieren durchaus verständlich. Der Diversifizierungsvorteil alternativer Anlagen variiert je nach Anlageklasse und ist bei Hedgefonds sowie ertragsorientierten alternativen Core-Anlagen am stärksten ausgeprägt.
Eine erstaunliche Erkenntnis ist, dass die regelmäßigen Ertragsmöglichkeiten für viele Befragte kein Hauptgrund für ein Investment in alternative Anlageklassen sind. Wir sind fest davon überzeugt, dass sich dies in den kommenden Jahren deutlich ändern wird – insbesondere, wenn die Investoren angesichts der Null- oder Negativrenditen für Anleihen nach anderen Ertragsquellen suchen. Dies dürfte vor allem reale Core-Assets und alternative Anleihen betreffen, bei denen Ertrag und Diversifikation miteinander verflochten sind. Unserer Vermutung nach stimmen die 16 Prozent der Anleihenanleger, die Anleihen durch andere Vermögenswerte ersetzen möchten, nicht mit den lediglich 4 % der Anleger überein, die alternative Anlagen zur Erzielung von Erträgen nutzen.
Im Laufe der Marktzyklen erscheinen die Immobilienerträge im Vergleich zu Unternehmensanleihen attraktiv
ABBILDUNG 4: Prämie von US-Kernimmobilien (ohne Fremdkapital) ggü. BBB-Unternehmensanleihen
Quelle: Moody’s Analytics, NCREIF, J.P. Morgan Asset Management; Stand der Daten: Dezember 2020.
Eine plausible Erklärung für diese Diskrepanz ist, dass die Investoren alternative Anlagen einfach nicht als sichere Ertragsquelle betrachten. Die Geschichte bestätigt diese Befürchtungen jedoch nicht. Nimmt man Immobilien als Beispiel, betrug der typische Drawdown der Gesamterträge in den Rezessionen bis zur globalen Finanzkrise (GFK)1 sechs Quartale nach Beginn der Rezession lediglich 4 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Außerdem blieb das Ertragsniveau in allen Rezessionen einschließlich der Finanzkrise während der gesamten Rezessionsphase positiv (Abbildung 4). Da die niedrigen Anleihenrenditen wahrscheinlich noch jahrelang bestehen bleiben werden und der Verschuldungsgrad von Immobilienanlagen nur noch einen Bruchteil des Niveaus während der GFK ausmacht, gehen wir davon aus, dass das Ertragspotenzial alternativer Anlageklassenn und insbesondere von Real Assets für die Investoren immer interessanter werden wird.
1Die Finanzkrise wird nicht einbezogen, da diese Rezession auf einer spekulative Immobilienblase und Verschuldungsniveaus beruhte, die heute von den Aufsichtsbehörden, Investoren und Kreditgebern an den Immobilienmärkten nicht mehr akzeptiert werden würde
ZUSAMMENFASSUNG: WAS WIR AUS DEN GESPRÄCHEN MIT INVESTOREN RUND UM DIE LTCMA 2021 GELERNT HABEN
Unser langfristiger Kapitalmarktausblick, den wir inzwischen seit 25 Jahren veröffentlichen, ist ein wichtiges Element unserer Modelle für die Asset Allokation – erstellt von Investoren für Investoren. Im Laufe der Jahre haben wir dazu unzählige Gespräche mit Kunden auf der ganzen Welt geführt, die wiederum neue Erkenntnisse und Reflexionen über die in den LTCMA aufbereiteten Themen geboten haben. Rund um die Vorstellung der aktuellen Ausgabe haben wir drei einfache Fragen beantworten lassen - die Ergebnisse liefern einen faszinierenden Einblick in die Entwicklung einiger der wichtigsten globalen Anlagetrends.
Die Antworten erinnern uns daran, dass das aktive Management von Anleihen trotz des starken Wachstums passiver Anlagen in den letzten zehn Jahren weiterhin im Fokus steht – alle Bond-Anleger stehen vor der gleichen Herausforderung durch Null- und Negativzinsen. Und so sind die Alpha-Trends an den Anlagemärkten – und insbesondere bei alternativen Anlageklassenn – stabil und bieten weiterhin Potenzial, Portfolios robuster zu machen. Je stärker alternative Anlagen in den Mainstream rücken und umso fundiertere Ansätze für die Risikoallokation von den Investoren verfolgt werden, desto besser werden die Alternatives verfügbar und können umso häufiger allokiert werden. Insbesondere die Ertragsmöglichkeiten sind ein noch nicht ausreichend genutztes Merkmal alternativer Anlageklassen, das aber sicherlich eine größere Wertschätzung erfahren wird, wenn sich der Effekt negativer Realrenditen weiterhin bemerkbar macht.
Die unausgesprochene Frage, die für Investoren – und nicht zuletzt für politische Entscheidungsträger – nach wie vor im Raum steht, betrifft den Klimawandel und die Bemühungen, eine weitere irreversible Schädigung unseres g Planten zu verhindern. ESG-Kriterien sind mittlerweile ein weit verbreiteter Faktor im Prozess der Anlageentscheidungen. Dieser Trend ist real und beinhaltet weitaus mehr als das bloße Abhaken einer Checkliste. Empirisch würde man zu jedem beliebigen Zeitpunkt davon ausgehen, dass der Ausschluss eines Vermögenswerts oder Wertpapiers aus dem Chancenspektrum eines Anlegers, aus welchem Grund auch immer, die Effizienz des Portfolios verringern wird. Bei dynamischer Betrachtung des Problems bestimmen die Entscheidungen der Investoren im Laufe der Zeit jedoch über das Kapitalangebot und die Kapitalkosten für Branchen und Unternehmen, was sich wiederum auf die verfügbaren Renditen auswirkt. So wie heutzutage kaum ein Investor in eine Branche oder ein Unternehmen mit fragwürdiger Governance investieren würde, erwarten wir, dass das Kapital der Anleger in den kommenden Jahren zunehmend von „alten“, umweltschädlichen in nachhaltige Branchen umgeleitet wird.
Die stärkeren fiskalischen Anreize zeigen, dass die Regierungen dabei unweigerlich eine größere Rolle spielen werden – sowohl für die Wirtschaft als auch an den Anlagemärkten. Da sich das Kapital von ESG-orientierten Investoren immer häufiger mit staatlichen Anreizen und Investitionen verbindet, könnten erneuerbare Technologien bedeutende Innovationen und das Wirtschaftswachstum fördern. Mit der Zeit könnte sich das Gefüge dessen verschieben, was wir als Technologie betrachten, und sich auf regionaler Ebene immer weiter ausbreiten. Dies könnte den Anlagemärkten einen Schub verleihen, die in den 2010er Jahren zurückgefallen sind.
„WAS BEWEGT DIE ANLEGER“ – LTCMA-EDITION
Unsere Kundengespräche rund um den langfristigen Kapitalmarktausblick waren thematisch sehr breit gefächert und geben uns stets interessante Anregungen. Einige Fragestellungen tauchten dabei allerdings immer wieder auf, sodass wir glauben, dass die folgenden sieben Fragen und Antworten Themen behandeln, die viele Investoren rund um den Globus bewegen.
1. Bedeutet eine hohe Verschuldung, dass die Wachstumserwartungen viel niedriger sein sollten?
Aus historischer Sicht haben wir keinen starken Zusammenhang zwischen der Anfangsverschuldung und dem künftigen Wachstum festgestellt. Vielmehr steigt die Bruttoverschuldung in den wichtigsten Volkswirtschaften seit mehreren Jahrzehnten stetig an. Sicherlich wurden Kreditbooms bislang mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von Finanzkrisen assoziiert, die wiederum dazu neigen, das Wachstum für einige Jahre zu bremsen. Diese Episoden beinhalten jedoch im Allgemeinen eine höhere Kreditvergabe an bestimmte Teile des Privatsektors, im Gegensatz zu einem breit angelegten, schrittweisen Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Verschuldung, wie dies in den letzten Jahren in den Industrieländern der Fall war.
Diese höhere Verschuldung ging mit rückläufigen Zinsen einher, sodass die Schuldendienstquoten weitgehend unverändert geblieben sind. Um die langfristigen Wachstumserwartungen zu beeinflussen, müsste eine höhere Verschuldung umfangreiche und dauerhafte Verhaltensänderungen bewirken. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn sich ein Sparkurs auf politischer Ebene durchsetzen und zu massiven Haushaltskürzungen führen würde. Alternativ könnten die Unternehmen für längere Zeit die Zügel anziehen, wenn ein erheblicher Teil des fremdfinanzierten Grundkapitals nutzlos werden sollte (etwa durch eine Änderung der globalen Handelsvereinbarungen). Solche Entwicklungen sind zwar plausibel, gehören jedoch nicht zu unseren Basisszenarien.
2. Warum sollte die Inflation nicht höher sein, wenn wir längere fiskal- und geldpolitische Anreize erwarten?
Unsere Kundengespräche zeigen, dass zwar ein starker Konsens über die Wachstumsaussichten nach der Pandemie besteht – die Meinungen über die Inflation gehen jedoch weit auseinander. Das ist verständlich: Steigende Preise entstehen, wenn die Nachfrage zu viel Druck auf das verfügbare Angebot ausübt, und die dauerhaften Auswirkungen von COVID-19 sowohl auf die Nachfrage als auch auf das Angebot sind derzeit unklar.
Um abzuschätzen, wie diese Auswirkungen aussehen könnten, müssen wir beurteilen, ob die Geld- und Fiskalpolitik ihre expansiven Maßnahmen rechtzeitig zurückfahren wird, wenn sich die Nachfrage im Privatsektor erholt. Wir glauben, dass die derzeit massiven fiskalischen Anreize lediglich den Einbruch der privaten Nachfrage ausgeglichen haben. Wenn die Beschränkungen gelockert werden und der Privatsektor weiter in Schwung kommt, dürften diese Impulse nachlassen. Wir glauben jedoch nicht, dass die Regierungen einen erneuten Sparkurs einleiten werden, der im letzten Zyklus sowohl das Wachstum als auch die Inflation gedämpft hat. Außerdem rechnen wir damit, dass die Angebotsseite der Wirtschaft nicht dauerhaft betroffen ist und Migration bzw. Globalisierung weiterhin weltweit zu sinkenden Löhnen und Preisen beitragen werden.
Wir erkennen an, dass die Risiken für diese Einschätzung vor allem ein höheres Inflationsniveau betreffen. Die Regierungen (selbst in Nordeuropa) scheinen ihre Angst vor der Verschuldung verloren zu haben. Zweifellos hegen sie große ökologische und soziale Ambitionen, die zu einer dauerhaften Expansionspolitik führen könnten. Wenn die Zentralbanken unter politischen Druck geraten, sich für die Regierungsinitiativen einzusetzen und diese zu unterstützen, könnte es zu einer stärkeren Inflationsentwicklung kommen als im vorherigen Zyklus.
3. Was bedeutet es für die Erträge von Staatsanleihen der Kernländer, wenn die Zentralbanken die Zinsen früher oder später anheben als prognostiziert?
Wir haben in den diesjährigen LTCMA eine wichtige Änderung vorgenommen, und zwar in der Annahme, dass die Zentralbanken für längere Zeit in der Warteschleife bleiben. Unmittelbar nach der globalen Finanzkrise deuteten die Marktbewertungen darauf hin, dass die US-Zinsen binnen weniger Jahre wieder steigen würden. Dagegen ist die erste Zinserhöhung der Federal Reserve nach der COVID-19-Rezession anhand der Marktpreise noch etwa drei Jahre entfernt. Wir glauben, dass es einige Zeit dauern wird, bis die längerfristigen Renditen wieder im Gleichgewicht sind, da auch die Leitzinsen über einen längeren Zeitraum unverändert bleiben. In unserem Basisszenario für die zehnjährigen US-Zinsen steigen die Renditen erst ab 2022 deutlich an, und es dauert etwa drei Jahre, bis das Gleichgewicht erreicht ist. Somit ergeben sich drei separate Phasen: eine Anfangsphase mit niedrigen Erträgen, aber verhaltener Volatilität, eine Normalisierungsphase, in der steigende Zinsen zu negativen Erträgen führen und eine Endphase mit niedrigen, aber positiven Erträgen.
Insgesamt kommen wir bei unseren Prognosen auf eine Endrendite von zehnjährigen US-Anleihen in Höhe von 3 % - das entspricht jährlichen Erträgen von durchschnittlich nur 1,6 %. Vereinfacht gesagt können unzureichende Erträge in späteren Jahren die niedrigen bzw. negativen Erträge zu Beginn des Prognosehorizonts nicht kompensieren. Wenn wir davon ausgehen, dass die Zinsen erst später steigen (wobei der Normalisierungszeitraum unverändert bleibt), sinkt die durchschnittliche zehnjährige US-Rendite für jedes weitere Jahr in der „Warteschleife“ um 25 bis 30 Basispunkte (Bp.). Wenn die Zinsen gemäß unseren Prognosen zu steigen beginnen, sich jedoch schneller wieder normalisieren, verbessert sich die durchschnittliche zehnjährige US-Rendite für jedes Jahr der beschleunigten Normalisierung um 10 bis 15 Bp. Während der genaue Normalisierungspfad jedoch einen technischen Einfluss auf die Anleihenrenditen hat, bleibt das Ertragsniveau letztendlich stark an das endgültige Niveau der Gleichgewichtsrendite gekoppelt, die wiederum durch das potenzielle nominale Wachstum eingeschränkt wird.
4. Wie wirkt sich das Niedrigzinsumfeld auf die Aktienbewertungen aus?
Die Auswirkungen niedriger Zinsen spielen in unseren Aktienprognosen eine wichtige Rolle. Als Faustregel gilt, dass niedrige Zinsen für globale Staatsanleihen tendenziell höhere Aktienmarktbewertungen begünstigen. Das hat zum Teil technische Gründe: Bei ansonsten gleichen Bedingungen führen niedrigere Anleihenrenditen zu einer höheren Aktienrisikoprämie. Allerdings kann sich diese Beziehung im Laufe der Zeit ändern, und das tut sie auch. Seit der Finanzkrise hat das Verhältnis zwischen den Anleihenrenditen und den Kurs-Gewinn-Verhältnissen im S&P 500 Index eine neue Ebene erreicht und das Bestimmtheitsmaß R² dieses Verhältnisses ist gesunken (Abbildung 5). Da wir für längere Zeit niedrige Renditen erwarten, haben wir unsere Gleichgewichtsannahme für die Bewertungen in diesem Jahr leicht angehoben. Trotzdem liegen diese Gleichgewichtsbewertungen unterhalb der vorherrschenden Bewertungen. Ein Aufwärtsrisiko für unsere prognostizierten Aktienerträge könnte darin bestehen, dass die hohen Bewertungen „hartnäckiger“ sind als wir annehmen. Natürlich könnten anhaltend niedrige Zinsen die Aktienbewertungen weiterhin über ihrem langfristigen Mittelwert halten. Ebenso könnte jedoch eine verbesserte Transparenz, ein effizienter Einsatz von Unternehmenskapital und eine starke Unternehmensführung zu langfristig höheren Aktienbewertungen beitragen, was wiederum ein Aufwärtsrisiko für die prognostizierten Aktienerträge darstellt.
Seit der Finanzkrise ist das Verhältnis zwischen den Renditen von US-Staatsanleihen und den Bewertungskennzahlen von Large-Cap-Aktien weniger zuverlässig geworden
ABBILDUNG 5: RENDITEN 10-JÄHRIGER US-STAATSANLEIHEN, KGV DES S&P 500 INDEX, 1985-HEUTE
Quelle: Datastream, J.P. Morgan Asset Management; Stand der Daten: Februar 2021.
5. Stehen Immobilien aufgrund des Trends zum Homeoffice nicht unter Druck?
Immobilien sind eine heterogene Anlageklasse, die sich im Laufe der Zeit kontinuierlich weiterentwickelt hat. Obwohl die anfänglichen Folgen der Pandemie und die Umstellung auf das Homeoffice für viele Menschen einen anderen Lebensstil mit sich brachten, rechnen wir mittel- bis langfristig mit begrenzten Auswirkungen, die je nach Sektor und Region unterschiedlich ausgeprägt sein dürften. Kurzfristige Turbulenzen und schrittweise Veränderungen eröffnen neue Chancen. In der Tat sorgen die Corona-Impfstoffe und die derzeit hohen Risikoprämien an den Kapitalmärkten für Rückenwind bei Immobilien, vor allem auf mittlere Sicht.
Die Pandemie und das Homeoffice-Phänomen haben die bestehenden Trends im Immobilienbereich beschleunigt, die zuvor bereits durch Technologie, E-Commerce und Demografie angestoßen wurden. Zum Beispiel hat der industrielle Immobiliensektor dem Einzelhandel in den letzten zehn Jahren kontinuierlich Marktanteile im US-Kernimmobilienindex (NCREIF) abgenommen und übertrifft den Einzelhandel inzwischen bei der Indexgewichtung. Im Bürosegment werden wir eher evolutionäre als revolutionäre Effekte beobachten. Die Büroleerstände werden 2021 weiter erhöht bleiben, aber die vermehrte Arbeit von zu Hause aus wird sich mittelfristig nur geringfügig auf die Büronachfrage auswirken. Obwohl das Arbeiten von zu Hause aus während der Pandemie mehr oder weniger zum Status quo avancierte, ist ein optimaler, nachhaltiger Homeoffice-Mix erforderlich, um das essenzielle menschliche Bedürfnis nach Austausch und Zusammenarbeit auszugleichen, insbesondere in Bereichen wie Technologie, Biotechnologie und Medizin. In diesem Sinne haben große Technologieunternehmen – beispielsweise in New York – aggressiv Flächen angemietet, um sich auf eine Rückkehr zu den Arbeitsbedingungen vor der Pandemie vorzubereiten. Interessanterweise finden wir in Asien eine geringere kulturelle Akzeptanz für die Arbeit im Homeoffice vor.
Obwohl der Einzelhandel während der Krise einem erheblichen Gegenwind ausgesetzt war, sehen wir darin eine vorübergehende Beeinträchtigung für Objekte von höherer Qualität und erwarten im Laufe der Zeit eine generelle Rückkehr zu den Bedingungen vor der Pandemie. Es ist wichtig, zu differenzieren und sich an neue Einzelhandelsmodelle anzupassen – Grundbedarfs-, Erlebnis- und Luxuskonzepte werden sich unserer Ansicht nach auch in Zukunft gut entwickeln.
Unterdessen sind die Mietsektoren für Ein- und Mehrfamilienhäuser, Industrieobjekte und Rechenzentren aufgrund der starken Nachfrage nach Waren, Daten und mehr physischem Raum schnell gewachsen. Die Normalisierung aufgrund der Impfprogramme, die aktuell hohen Risikoprämien, die zunehmende Verschuldung und die Fähigkeit, die bisher leicht belasteten Cashflows zu steigern, bei gleichzeitiger Inflationssensitivität – insgesamt bieten diese Trends einen kurz- bis mittelfristigen Rückenwind für die Wertentwicklung im Immobilienbereich. Um die derzeit verfügbaren Risikoprämien effizient zu nutzen, wird der Portfolioaufbau sowie die Auswahl von Objekten, Märkten, Sektoren und Anlagestilen wichtiger sein als je zuvor.
6. Schätzen wir die wirtschaftlichen Vorteile von Investitionen in erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit zu optimistisch ein?
In unserem Beitrag „Was der verstärkte Fokus der Politik auf Klimaschutz für Anleger bedeutet“ haben wir dargelegt, dass der Weg zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft verschiedene Formen annehmen kann. Wir unterschieden zwischen Anreizen des öffentlichen Sektors, die das globale BIP-Wachstum bis 2030 nach unseren Schätzungen um etwa 1 % steigern könnten, und obligatorischen Auflagen für den privaten Sektor, die das BIP bis 2030 um etwa 1 % schmälern könnten. Die Investoren zweifeln die Größenordnung und die Ausgewogenheit dieser Zahlen an und fragen sich insbesondere, ob wir die Kosten für die Bekämpfung des Klimawandels zu niedrig einschätzen. Offensichtlich machen sich die physischen wirtschaftlichen Risiken, wie sie beispielsweise durch Überschwemmungen und ungünstige Wetterereignisse entstehen, bereits bemerkbar und scheinen zuzunehmen.
Im Hinblick auf die LTCMA kommt es auf den jeweiligen Zeithorizont an. Wir sind der Ansicht, dass ein Großteil der physischen Risiken aufgrund des Klimawandels über unseren 10- bis 15-jährigen Zeitraum hinausgeht. Deshalb konzentriert sich unser Beitrag auf die Politikgestaltung als Hauptfaktor für die wirtschaftlichen Ergebnisse. Technisch gesehen erhöht eine Anhebung der Ausgaben für klimabezogene Initiativen heute das BIP durch das Investitionsinstrument der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen. Ferner sind wir der Meinung, dass klimabezogene Ausgaben dazu dienen könnten, die fiskalischen Anreize so einzusetzen, dass die potenziellen Wachstumsraten erhöht werden. Wenn man es richtig macht, können Investitionen in die Bewältigung von Klimaproblemen zu einer Steigerung der Arbeitskompetenzen und einer höheren Effizienz der Schlüsselinfrastruktur führen – und in einigen Fällen zu einer geringeren Abhängigkeit von volatilen Ölpreisen auf nationaler Ebene. Gewiss, die Belastung durch die Bereinigung der Worst-Case-Szenarien in Bezug auf den Klimawandel könnte katastrophale Ausmaße annehmen, aber wir bleiben zuversichtlich, dass der wirtschaftliche und gesellschaftliche Anreiz für heutige Investitionen positiv ist und an Bedeutung gewinnt.
7. Warum sollten die USA andere Regionen in Bezug auf die Kapitalrendite nicht weiter anführen?
In unseren LTCMA 2021 haben wir die 2010er Jahre als das amerikanische Jahrzehnt bezeichnet – die Kombination aus einer raschen Erholung von der globalen Finanzkrise, weltweit führenden technologischen Innovationen und einer akkomodierenden Geldpolitik bescherte den USA lange Zeit eine wirtschaftliche Sonderstellung. Dies führte wiederum zu einer langfristigen Hausse für den US-Dollar und einer deutlichen Outperformance der US-Aktienmärkte gegenüber der internationalen Konkurrenz. Aktuell deutet unser Ausblick für die US-Wirtschaft auf eine weiterhin starke Entwicklung hin. Die Kapitalmärkte spiegeln diese wirtschaftliche Führungsrolle jedoch voll und ganz wider, und das Ausmaß der Outperformance wird sich unserer Ansicht nach verringern. Damit keine Missverständnisse aufkommen: US-Investments bleiben weiterhin ein Pfeiler des Portfolioaufbaus, aber der Impuls zu einer internationalen Diversifizierung ist heute stärker als im letzten Jahrzehnt.
Wir erwarten, dass die nächste Phase der Technologieübernahme zunehmend dem breiteren Unternehmenssektor zugutekommen wird. Nachdem der Nährboden des Silicon Valley die Technologietitanen hervorbrachte, die in den letzten zehn Jahren die Aktienerträge dominierten, bieten dieselben Technologiegiganten nun anderen Sektoren die Gelegenheit, ihre Geschäftsmodelle zu rationalisieren und die Unternehmenseffizienz radikal zu verbessern. Mit zunehmender Verbreitung von Technologie werden die Vorteile vielfältiger zu spüren sein als zuvor. Darüber hinaus verlagert sich die Avantgarde der Innovation derzeit von Datenwissenschaften und Automatisierung hin zu Nachhaltigkeit und erneuerbaren Energien. Bislang haben die USA in diesen Bereichen keinen Vorsprung, aber das könnte sich bald ändern. Im Großen und Ganzen glauben wir, dass die Kombination aus vollständig bewertetem Wachstum und einer subtilen Verlagerung der Wachstumstreiber eine Chance für andere Regionen darstellt, um die Lücke zu schließen.