Die Erfahrung zeigt, dass Anleger ihre Aktien nach scharfen Marktkorrekturen verkaufen – damit treffen sie aber oft einen ungünstigen Zeitpunkt, weil sie dann auch die Erholung verpassen.
Tilmann Galler
Der erste Bärenmarkt seit 11 Jahren verunsichert viele Anleger. Um bei allen Sorgen Ruhe zu bewahren, bietet sich ein Blick auf aktuelle und historische Daten an.
Nachdem die Coronakrise zu dramatischen Kursverlusten an den Börsen geführt hat, sind viele Anleger stark verunsichert. US-Aktien verzeichneten im Februar noch einen neuen Höchststand – inzwischen nach mehr als 30 Prozent Rückgang befinden wir uns nun also offiziell wieder in einem Bärenmarkt, dem ersten seit 2009. Besorgte Anleger können sich fünf langfristige Investitionsüberlegungen vor Augen halten, die helfen können, das Portfolio durch die Krise zu navigieren .
1. Bärenmärkte sind deutlich kürzer und volatiler als Bullenmärkte
Die Ausbreitung von COVID-19 wirkt sich mittlerweile schwer auf soziale Aktivitäten und Volkswirtschaften rund um den Globus aus. Das globle Wachstum im ersten und zweiten Quartal 2020 dürfte hart getroffen werden. Wie stark und wie lange die Wirtschaft schrumpfen wird, hängt davon ab, wie schnell die Ansteckungsfälle ihren Höhepunkt erreichen und wie erfolgreich die Hilfspakete der Politik implementiert werden. Selbst wenn die Wirtschaft im weiteren Jahresverlauf wieder wachsen sollte, werden die Auswirkungen auf die Unternehmenserträge erheblich sein. Bis sich die Folgen der Epidemie in den Gewinnerwartungen und Bewertungen voll niederschlagen, könne jedoch noch einige Zeit vergehen. Doch sobald die Ausbreitung eingedämmt ist, dürfte sich die Weltwirtschaft und die Aktienmärkte wieder erholen. Auf kurze Sicht sollte das Augenmerk deshalb auf der Zahl der Neuinfektionen liegen und darauf, wie schnell und in welchem Umfang die Politik antwortet.

2. Diversifikation ist wichtiger denn je
Die aktuell fallenden Märkte zeigen wieder einmal eindrücklich, wie wichtig eine breite Streuung von Anlagen ist. So haben beispielsweise Staatsanleihen in diesem Jahr ihre Aufgabe erfüllt und sind bei fallenden Aktienkursen gestiegen – und das, obwohl die Renditen zu Jahresbeginn nahe der Rekordtiefs lagen. Diese negative Korrelation zwischen Aktien und Staatsanleihen, die auch bei den jüngsten Kursrückgängen Bestand hatte, zeigt: Staatsanleihen können Anlegern helfen, mit der Portfoliovolatilität umzugehen.
3. Anleihen im Fokus behalten
US-Staatsanleihen haben sich seit Jahresbeginn besser entwickelt als britische und deutsche Staatsanleihen. Nach der aggressiven Zinssenkung durch die amerikanische Notenbank ist die Wahrscheinlichkeit weiter schrumpfender Staatsanleihen-Renditen allerdings gesunken. So haben Staatsanleihen zur Risikoreduktion zwar weiter einen wichtigen Platz in die Portfolios. Allerdings wurde die starke Rallye seit Jahresbeginn von einer Ausweitung der Risikoprämie bei Agency- und Unternehmensanleihen sehr hoher Qualität begleitet. Und so haben die letztgenannten Anleihen aus relativer Sicht zunehmendan Attraktivität gewonnen. Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass bei Fortdauer der Krise Zentralbankinterventionen in diesem Segment zukünftig zunehmen dürften.
4. Markt-Timing kann schwierig sein
Man kann gar nicht oft genug darauf hinweisen, wie schwierig Markt-Timing ist. Die Erfahrung zeigt, dass Anleger ihre Aktien nach scharfen Marktkorrekturen häufig verkaufen – damit treffen sie aber oft einen ungünstigen Zeitpunkt, weil sie dann auch die Erholung verpassen. Auch wenn es in diesen Zeiten nicht einfach durchzuhalten ist, macht es Sinn, investiert zu bleiben. Es zählt „time in the Market“ und nicht „timing the Market“, also im Markt zu sein, statt den „idealen“ Aus- und Einstiegszeitpunkt zu finden – das gelingt selbst Profils selten.
5. Extreme Marktschwankungen sind nicht ungewöhnlich
Es ist also sinnvoll, auch wenn es schwer fällt, Ruhe zu bewahren. Ein Blick auf die Entwicklung der letzten Jahrzehnte zeigt, dass es in fast jeder Dekade eine Phase mit extremer Volatilität an den Kapitalmärkten gab. Die Dauer dieser Phasen ist schwierig vorherzusagen, und gerade für die aktuelle Krise gibt es einen hohen Unsicherheitsfaktor. Aber in der Vergangenheit konnten sich die Aktienmärkte in vielen Jahren trotz zweistelliger Marktrückgänge auf mittelfristige Sicht wieder kräftig erholen und positive Erträge liefern.
Aktuell ist es zwar wenig sinnvoll, ein konkretes Ende oder den Wendepunkt in dieser Krise zu progostizieren, aber häufig sind Schwächephasen am Aktienmarkt auch eine Chance für aktives Management, die Bewertungsannomalien, die sich durch undifferenziertes Verkaufen ergeben, für die Zukunft zu nutzen. Eine breite globale Positionierung und eine ausgewogene Risikostruktur im Portfolio ist hilfreich, die aktuellen Turbulenzen zu überstehen – um dann aber auch in der Lage zu sein, von der kommenden Erholung zu profitieren.