Die Situation mit problematischen Schulden war im Japan der 1990er deutlich ungünstiger als in der Eurozone.
Tilmann Galler & Vincent Juvyns
Schleppendes Wachstum, eine alternde Bevölkerung, eine Zentralbank, die mit Deflation zu kämpfen hat, und eine explodierende Staatsverschuldung werden gewöhnlich mit den wirtschaftlichen Schwierigkeiten Japans der letzten 30 Jahre in Verbindung gebracht. Nach zwei schweren Krisen in den letzten zehn Jahren zeigen sich in der Eurozone nun ähnliche Phänomene – und es ist die Befürchtung aufgekommen, dass die Region am Ende in einer vergleichbaren Situation stecken könnte. Europa und Japan sind mit ähnlichen strukturellen Wachstumsschwierigkeiten konfrontiert. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass europäische Aktien unter denselben Problemen hinsichtlich der Anlagerenditen leiden werden, die Japan über große Teile der letzten drei Jahrzehnte geplagt haben.
Demographie – dieselben Probleme, unterschiedliches Ausmaß
Für ein robustes Wirtschaftswachstum ist Bevölkerungswachstum unverzichtbar. Wie Japan hat Europa mit der Alterung der Bevölkerung und einem Rückgang der Erwerbsbevölkerung zu kämpfen. Die arbeitsfähige Bevölkerung Japans schrumpft seit 1993. In der Eurozone setzte der Rückgang im Jahr 2009 ein, und der Trend dürfte sich in den kommenden Jahren fortsetzen. Die Verkleinerung der Erwerbsbevölkerung übt Abwärtsdruck auf die Gesamtnachfrage und die staatlichen Steuereinnahmen aus, was ein Problem für die Finanzierung des Renten- und Sozialversicherungssystem darstellt.
Der Altenquotient – das Verhältnis zwischen der Bevölkerung jenseits der Altersgrenze und der erwerbstätigen Bevölkerung – ist ein nützlicher Näherungswert für die benötigte Umlagefinanzierung der Rentenversorgung in einem Land. Je höher der Quotient, desto mehr Rentner müssen durch eine relativ geringere Anzahl an Erwerbstätigen finanziert werden. In Japan ist der Altenquotient von 16 % im Jahr 1988 auf 46 % im Jahr 2018 gestiegen und wird in den nächsten dreißig Jahren voraussichtlich auf 78% klettern. In der Eurozone liegt der Altenquotient derzeit bei 32 % und wird im gleichen Zeitraum voraussichtlich auf 53 % ansteigen Abbildung 1). Die Absenkung des Rentenalters – wie kürzlich in Deutschland und Italien geschehen – wird diese Probleme der Rentenfinanzierung noch verschärfen.
Aber selbst wenn die Art der demographischen Herausforderung dieselbe ist, gilt das nicht für die Größenordnung. Die Bevölkerung im erwerbstätigen Alter ist in Japan schon viel länger rückläufig als in der Eurozone, es ist aber darüber hinaus zu erwarten, dass sie auch in den nächsten 20 Jahren weiter – und schneller – sinken wird. Die UNO erwartet für den Zeitraum von 2020 bis 2040 einen jährlichen Rückgang der Erwerbsbevölkerung in Japan um 0,8 %, verglichen mit 0,5 % in der Eurozone. Die Belastung des Wachstums des europäischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) dürfte also weniger heftig ausfallen. Unsere aktuellen Prognosen für das reale Wachstum über 10 bis 15 Jahre liegen laut unseren langfristigen Kapitalmarktannahmen bei 1,2 % für die Eurozone und 0,6 % für Japan.
Die Erwartung eines geringeren BIP-Wachstums in Japan ist wenig hilfreich für eine Minderung des Drucks steigender Staatsverschuldung auf das BIP. In der Eurozone führt die Kombination aus der niedrigeren aktuellen Verschuldung im Verhältnis zum BIP und der höheren erwarteten BIP-Wachstumsrate dazu, dass die zukünftige Schuldenlast in Europa bei weitem nicht so groß sein dürfte wie in Japan (Abbildung 2).
Bankenkrise – aber in einer kleineren Größenordnung
In beiden Regionen stand der Bankensektor im Epizentrum der ursprünglichen Krise. Die japanischen Banken rutschten in den neunziger Jahren mit einem gewaltigen Kreditbuch und einer ungesunden Abhängigkeit von Kapitalmarktfinanzierung anstelle lokaler Einlagen in die Krise. Japanische Banken hatten eine beispiellose Immobilien- und Spekulationsblase finanziert. In Europa waren die Bilanzrisiken der Banken auf mehrere Ursachen zurückzuführen, wie lokale Immobilien-blasen in Spanien und Irland, eine erhöhte Verschuldung des privaten Sektors und eine steigende Staatsverschuldung in Ländern mit bereits hohem Schuldenstand.
Die Ähnlichkeiten enden jedoch, wenn wir uns das Ausmaß des Kreditproblems ansehen. Die Situation mit problematischen Schulden war im Japan der 1990er deutlich ungünstiger als in der Eurozone. In Spitzenzeiten schwoll das Volumen der an den privaten Sektor ohne Finanzinstitute vergebenen Kredite auf gigantische 220 % des BIP an, verglichen mit der maximalen Erweiterung der Kreditvergabe auf 170 % des BIP in Europa (Abbildung 3). Warum ist die Größe der Kreditblase so relevant? Weil dieser Wert verdeutlicht, warum der Prozess des Schuldenabbaus in der japanische Wirtschaft länger dauerte, deflationärere Folgen hatte und mehr gekostet hat. Auf ihren jeweiligen Höchstständen erreichten die notleidenden Kredite in Japan einen Anteil von 35 % am gesamten Kreditbestand, verglichen mit 8 % in der Eurozone.
Das hatte zur Folge, dass es in Japan 14 Jahre dauerte, bis die Kreditvergabe wieder wuchs. Im Gegensatz dazu stabilisierte sich das Kreditwachstum in der Eurozone schneller, wozu wahrscheinlich die schnellere Reaktion der Europäischen Zentralbank (EZB) mit Zinssenkungen, Liquiditätshilfen für Banken (in Form längerfristiger Refinanzierungsgeschäfte – LRGs) und breiter angelegter quantitativer Lockerung (Abbildung 4) beitrug.
Der Erfolg der Maßnahmen seitens der EZB war nicht groß genug, dass daraus auf einen Zinsanstieg in näherer Zukunft zu schließen wäre. Der Niedrigzins wird wahrscheinlich sowohl in Europa als auch in Japan das bestimmende Thema bleiben, weil beide Zentralbanken versuchen, die Inflation anzuregen. In der Eurozone sind die erfolgreiche Umsetzung von Strukturreformen, die weitere Harmonisierung der Finanzmärkte und eine lockere Fiskalpolitik allesamt Voraussetzungen für eine aussagekräftige Steigerung des nominalen Wachstums, durch das sich der Zinsausblick ändern würde.
Zum jetzigen Zeitpunkt scheinen jedoch Voraussetzungen nicht sehr wahrscheinlich zu sein. Die Staatsverschuldung in der Eurozone hat sich stabilisiert, wozu der niedrige Zinsaufwand beigetragen hat. Doch ungeachtet der immer dringenderen Appelle der neuen EZB-Präsidentin Christine Lagarde wirkt es wegen der durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt der Europäischen Kommission gesetzten fiskalischen Zwänge wenig wahrscheinlich, dass bedeutende fiskalische Impulse kommen werden. Die wenigen Länder, die über Spielräume in der Haushaltsgestaltung verfügen, wie z. B. Deutschland, zeigen wenig politischen Appetit auf Ausgabensteigerungen.
Achtung: (Bewertungs-) Lücke!
Nachdem die Renditen europäischer Rentenwerte einen ähnlichen Weg eingeschlagen haben wie die japanischen: ist, für den europäischen Aktienmarkt nun ein ähnliches Schicksal zu erwarten? Wie in Japan war der europäische Aktienindex vor der Krise vom Finanzsektor dominiert. Daher litten die europäischen Aktien im Verlauf der Krise deutlich stärker als die Aktien in anderen Industrieländern. Aber damit enden bereits die Gemeinsamkeiten mit der Lage im Japan der 90er Jahre.
Japanische Aktien waren auf dem Höchststand des TOPIX-Index im Dezember 1989 mit dem 49-fachen der Gewinne bewertet, während diese Kennzahl auf dem Höchststand des MSCI Europe-Index im Mai 2007 beim 14-fachen lag. In beiden Regionen gingen die Gewinne in den ersten beiden Jahren nach dem Höchststand stark zurück. Die europäischen Unternehmen hatten jedoch mehr Erfolg bei der Wiederherstellung ihrer Ertragskraft (Abbildung 5). Dies ist auf zwei Gründe zurückzuführen. Erstens waren die Wertberichtigungen bei europäischen Banken geringer als in Japan. Und zweitens reagierten die europäischen Unternehmen aggressiver mit Kostensenkungsmaßnahmen als ihre japanischen Pendants, sodass die Arbeitslosenquote in der Eurozone fünf Jahre nach Beginn des Börsenabschwungs ihren Höchststand erreichte, während dies in Japan 12 Jahre dauerte.
Fazit
Die Eurozone steht vor einigen der gleichen strukturellen makroökonomischen Herausforderungen, die das japanische Wachstum in den letzten drei Jahrzehnten eingeschränkt haben. Anleger sollten trotz der Ähnlichkeiten keine voreiligen Schlüsse für den Aktienmarkt ziehen. Denn wie oben beschrieben gibt es auch erhebliche Unterschiede, weshalb nach unseren Einschätzungen zufolge die Enwicklung japanischer Aktien während der „verlorenen Jahrzehnte” dieses Markets keine Blaupause für die Zukunft europäischer Aktien liefert.