
Das Risiko besteht darin, dass Unternehmen und Privathaushalte aufgrund der Unsicherheit über die US-Politik ihre Ausgabenpläne aussetzen und zunächst abwarten.
In seiner Antrittsrede im Jahr 1933 verwendete US-Präsident Franklin D. Roosevelt den heute berühmten Satz „Das Einzige, was wir fürchten müssen, ist die Furcht selbst“. Er argumentierte, dass es lediglich die Furcht sei, die die Nachfrage in den USA nach der Weltwirtschaftskrise lähme, und nicht etwa tief in den Fundamenten der Wirtschaft verwurzelte strukturelle Probleme. Dieses Zitat ist auch für die wesentlichen Risiken relevant, denen die USA und die Weltwirtschaft heute ausgesetzt sind.
Die Weltwirtschaft ist strukturell gesund. Trotz steigender Inflation und Zinsen hat sie in den letzten Jahren den Prognosen einer Rezession getrotzt – dank solider Bilanzen von Privathaushalten und Unternehmen. Das Risiko besteht darin, dass Unternehmen und Privathaushalte aufgrund der Unsicherheit über die US-Politik ihre Ausgabenpläne aussetzen und zunächst abwarten. Das Einzige, was wir fürchten müssen, ist die Furcht selbst.
Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts besteht noch erhebliche Unsicherheit über Umfang und Reichweite der Zölle, welche die USA gegenüber ihren Handelspartnern verhängen werden. Die schockierenden Zahlen, die am „Liberation Day“ bekannt gegeben wurden, sind zwar zwischenzeitlich gesunken, aber der effektive Zollsatz für USImporte liegt immer noch auf dem höchsten Stand seit den 1940er Jahren (siehe Abbildung 1). Das Urteil eines US-Handelsgerichts gegen die Notstandserklärung des Präsidenten zur Einführung umfassender Zölle Ende Mai hat die Unsicherheit noch verstärkt. Da dem Präsidenten noch mehrere andere rechtliche Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um im Falle einer endgültigen Aufhebung der Vergeltungszölle vorzugehen, gehen wir davon aus, dass die Regierung Wege finden wird, um ihre handelspolitischen Ziele weiterzuverfolgen.
Die Regierung sucht nach einer Lösung für die aktuellen rechtlichen Herausforderungen, da sie die Verwendung der eingenommenen Mittel bereits verplant hat. Das Finanzpaket, das derzeit beide Kammern des amerikanischen Kongresses durchläuft, verlängert nicht nur die im Rahmen des „Tax Cuts and Jobs Act“ von 2017 gewährten Steuersenkungen, sondern sieht auch weitere Steuergeschenke vor. Dies führt nach Schätzungen des CBO zu Steuersenkungen und Ausgaben in Höhe von insgesamt 5,3 Billionen US-Dollar. Obwohl diese Steuersenkungen theoretisch später durch Zolleinnahmen und Ausgabenkürzungen ausgeglichen werden sollen, ist der Anleihenmarkt verständlicherweise skeptisch gegenüber dem Kurs der US-Behörden (siehe Abbildung 2).
Eine wesentliche Frage ist, ob die Vorteile einer finanzpolitischen Lockerung für die US-Wirtschaft durch höhere Zinsen aufgewogen werden. Als Emittent der globalen Reservewährung kann sich das US-Finanzministerium mehr erlauben als Länder wie Großbritannien (siehe Achten Sie auf Währungsrisiken), aber das britische Desaster um Liz Truss ist der US-Regierung eine Lehre: Bei Vollbeschäftigung führt eine finanzpolitische Lockerung lediglich zu höheren Finanzierungskosten.
Die große Unsicherheit hinsichtlich der Prognosen für die Handels- und Finanzpolitik und damit auch für Wachstum und Inflation könnte in der zweiten Jahreshälfte 2025 zu Turbulenzen an den Märkten führen, da die Anlegerinnen und Anleger auf die neuen Wachstums- und Inflationsdaten reagieren werden.
Die wichtigsten von uns beobachteten Daten sind wie folgt (alle Daten werden in unserem täglich aktualisierten Guide to the Markets veröffentlicht):
- Investitionsausgaben der Unternehmen und Einstellungsabsichten als Indikatoren für die Auswirkungen der abwartenden Haltung der Unternehmen (siehe Abbildung 3).
- Ausgabenabsichten für langlebige Konsumgüter als Indikatoren für die Auswirkungen der abwartenden Haltung der Privathaushalte.
- Einkaufsmanagerindizes – insbesondere die Input- und Output-Preiskomponenten – sind wichtige Indikatoren für Anlegerinnen und Anleger, um das Verhalten der Unternehmen und die Weiterreichung von Zöllen zu beurteilen.
- Die Inflationserwartungen der Verbraucherinnen und Verbraucher könnten die US-Notenbank (Fed) dazu veranlassen, eine Zinssenkung zu verschieben.
Wir gehen davon aus, dass die Daten eher auf eine Abschwächung der US-Wirtschaft hindeuten werden als auf eine Rezession. Wenn überhaupt, sehen wir die Risiken eher auf der Seite der Inflation als auf der Seite der Rezession. Die jüngste Rückkehr der GoldlöckchenPhase ist unserer Ansicht nach vor allem auf den starken Zustrom von Einwanderinnen und Einwanderern in die USA zurückzuführen, der dazu beigetragen hat, das Lohnwachstum und den allgemeinen Inflationsdruck in den USA rasch zu dämpfen (siehe Abbildung 4). Angesichts der Tatsache, dass die Migration nach einem sehr deutlichen Signal der aktuellen Regierung effektiv gestoppt ist, würde ein weiterer Angebotsschock, wie er im Jahr 2022 aufgetreten ist, die Anlegerinnen und Anleger erneut mit einem unerwartet starken Inflationsanstieg erschüttern. Ein solcher Schock würde mit einem fiskalischen Schock einhergehen, der die Nachfrage ankurbelt.
Dieses Gleichgewicht der Risiken bringt die US-Notenbank in eine unangenehme Lage und versetzt sie unserer Ansicht nach in einen reaktiven statt in einen präventiven Modus. Die Anlegerinnen und Anleger haben ihre Erwartungen hinsichtlich Zinssenkungen durch die US-Notenbank in diesem Jahr bereits zurückgeschraubt. Angesichts der lautstarken Äußerungen des Präsidenten zur US-Geldpolitik sind wir der Ansicht, dass die Inflation ziemlich deutlich steigen müsste, bevor die US-Notenbank offen über Zinserhöhungen sprechen würde. In unserer zentralen Prognose gehen wir davon aus, dass die US-Notenbank ihre Zinssätze bis Ende 2025 unverändert lassen wird.
Sollten wir die Abwärtsrisiken falsch eingeschätzt haben und die Arbeitslosigkeit steigen, gehen wir davon aus, dass die US-Notenbank die Inflationssorgen ignorieren und ihre diesbezügliche Politik lockern würde, möglicherweise sogar erheblich. In diesem Szenario sollten Anlegerinnen und Anleger den Schutz, den Kernanleihen vor einer Rezession bieten, nicht vergessen (siehe Anleihen sind für stürmische Zeiten, nicht für jede Wetterlage).
Wenn man über die Grenzen der USA hinausblickt, wird einmal mehr deutlich, dass Europa oft dann am besten funktioniert, wenn es mit einem gemeinsamen Gegenspieler oder einer gemeinsamen Krise konfrontiert ist. Eine deutlich positivere Innenpolitik macht uns Mut. Deutschland nutzt nun den beträchtlichen finanziellen Spielraum, den es sich in den letzten Jahren gesichert hat. Die von der neuen Regierung vorgeschlagenen finanziellen Impulse sind enorm. Für die Wachstumsaussichten Deutschlands ist jedoch entscheidend, wie schnell ein so großer Geldbetrag eingesetzt werden kann.
Auch das Umfeld für die europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher verbessert sich. Die Reallöhne steigen weiter, die Arbeitsmärkte bleiben weitgehend stabil und sinkende Zinsen könnten die Region endlich dazu veranlassen, einen Teil der während der Corona-Pandemie angehäuften beträchtlichen Ersparnisse einzusetzen (siehe Abbildung 5).
Die Erholung der europäischen Binnenkonjunktur könnte ins Stocken geraten, wenn die Spannungen mit den USA erneut eskalieren. Ende Mai wurde deutlich, wie schnell sich die Lage ändern kann: Die US-Regierung drohte, bereits zum 1. Juni zusätzliche Zölle von bis zu 50% auf Waren aus der Europäischen Union (EU) zu erheben, bevor sie nur zwei Tage später wieder einen Rückzieher machte. Präsident Trump begründete diese potenziell höheren Zölle mit dem Warenhandelsdefizit der USA gegenüber der EU sowie den langsamen Fortschritten bei den Handelsgesprächen. Wir vermuten, dass es wie in anderen Regionen auch zu einer Einigung kommen wird, da ein langwieriger Handelskrieg wohl nicht im Interesse beider Seiten ist. Wenn Europa seine Binnenkonjunktur aufrechterhalten kann, bestünde durchaus die Chance, dass europäische Aktien ihren überdurchschnittlichen Bewertungsrückstand gegenüber den USA verringern könnten (siehe Regionale Diversifikation und Dividendenstrategien nutzen).
Großbritannien profitiert von vielen der gleichen potenziellen Begünstigungsfaktoren wie Kontinentaleuropa. Dazu zählen auch die beträchtlichen Ersparnisse, die während der Pandemie angehäuft wurden. Auch die Handelsbedingungen verbessern sich für Großbritannien wohl zunehmend. Ein Handelsabkommen mit den USA wurde bereits abgeschlossen, aber – was für britische Exporteure noch wichtiger ist – auch die Beziehungen zur EU haben sich deutlich verbessert.
Die größte Herausforderung für Großbritannien im weiteren Verlauf des Jahres 2025 ist der Haushaltsplan im Herbst, für den die Finanzministerin erneut schwierige Entscheidungen treffen muss, wenn sie an ihren Haushaltsregeln festhalten will. Im vergangenen Herbst erhöhte Finanzministerin Reeves eine der wenigen Steuern, die im Wahlprogramm ihrer Partei nicht ausgeschlossen worden waren – die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber –, um einen Anstieg der öffentlichen Ausgaben zu finanzieren. Angesichts der bevorstehenden Haushaltsplanung im Herbst 2025 könnten höhere globale Zinssätze die britische Regierung dazu zwingen, zwischen Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen zu wählen.
Angesichts der öffentlichen Kritik an der Steuererhöhung vom letzten Herbst und der Notwendigkeit, das Wachstum zu stützen, gehen wir davon aus, dass sich alle finanzpolitischen Entscheidungen auf die Eindämmung der mittelfristigen Ausgaben konzentrieren werden. Sollte jedoch das Office for Budget Responsibility – das die britischen Staatsfinanzen überwacht – seine stets optimistischen Produktivitätsprognosen nach unten korrigieren, dürften sich die finanzpolitischen Aussichten bis zum Herbst verschlechtern, was die Finanzministerin dazu zwingen könnte, die Erhöhung der „wesentlichen“ Steuern zu überdenken.
Die Bank of England (BoE) könnte ebenfalls gezwungen sein, ihren Lockerungszyklus zu unterbrechen, sofern sich der Inflationsdruck in Großbritannien nicht bald abschwächt (siehe Abbildung 6). Die Kerninflation bleibt in Großbritannien unverändert hoch und widerspricht damit dem anhaltenden Optimismus der Bank, dass die Inflation innerhalb des Zielhorizonts wieder auf 2% zurückgehen wird.
In Asien scheint China weiterhin weitgehend in der Lage zu sein, Probleme bei der Lieferung von Waren in die USA zu umgehen, indem es Zwischenhandelspartner einsetzt (siehe Abbildung 7). Sollten die USA dies in den bevorstehenden Verhandlungen mit anderen Regionen unterbinden, muss China wie Deutschland entscheiden, ob es die Binnennachfrage ankurbeln will, um die schwächere Exportnachfrage auszugleichen. Im Gegensatz zu Deutschland hat China jedoch wenig Bereitschaft für ein umfangreiches Konjunkturpaket gezeigt.
Peking scheint es gelungen zu sein, den Rückgang der Immobilienpreise einzudämmen, und seine Bemühungen zur Förderung inländischer Aktieninvestitionen haben zu einem Anstieg der Aktienkurse beigetragen, wodurch sich die Vermögenslage der Verbraucherinnen und Verbraucher verbessert hat. Allerdings bleibt abzuwarten, ob die Maßnahmen Pekings zu einem deutlichen Anstieg des Verbrauchervertrauens und der Konsumausgaben führen werden, was entscheidend sein wird, wenn China den Druck im Außenhandel bewältigen will.
Die Ankündigung von DeepSeek im Januar war jedoch ein symbolischer Hinweis darauf, was die chinesische Regierung richtig gemacht hat. Dies gelingt vielen Schwellenländern nicht (siehe Abbildung 8). China konzentrierte sich auf die Bildung, weshalb es jedes Jahr eine große Zahl hochqualifizierter Absolventinnen und Absolventen hervorbringt. Wenn die Regierung unternehmerisches Engagement fördert – und Ingenieure davon überzeugt sind, dass sie von den Früchten ihrer Arbeit profitieren werden –, könnte China an der Spitze der technologischen Innovation stehen.
Insgesamt erwarten wir trotz der Unruhe einen weitgehend positiven Ausblick mit einem Übergang zu einem langsameren und geografisch stärker gestreuten Wachstum im Laufe des nächsten Jahres. Allerdings bestehen in beide Richtungen erhebliche Risiken (siehe Globale Marktszenarien und -risiken). Abwärtsrisiken würden sich aus Ängsten ergeben, die, ausgelöst durch politische Unsicherheit, zu einem deutlicheren Rückgang der Einstellungs- und Investitionspläne der Unternehmen führen könnten. Noch beunruhigender ist vielleicht das Risiko einer stärkeren Rückkehr der Inflation (siehe Alternative Anlagen für alternative Risiken).
Eine stabile Strategie für den Umgang mit einer unbeständigen Welt ist entscheidend, um sich von den ermüdenden politischen Diskussionen abkoppeln zu können – in der Gewissheit, dass selbst wenn diese zu einer destabilisierenden Kakofonie werden, Strategien zum Kapitalerhalt vorhanden sind.