Trotz der steigenden Handelsspannungen mit den USA und der Initiative Pekings zu mehr Autarkie und Entkopplung von globalen Wertschöpfungsketten sollten Anleger die Anlagechancen, die sich in Form chinesischer Werte bieten, nicht außer Acht lassen...
Tilmann Galler
Am 14. Februar 2020 vereinbarten die USA und China ein Handelsabkommen, das allgemein als „Phase-Eins-Abkommen“ bezeichnet wurde. Im Rahmen des Abkommens verpflichtete sich China, in den nächsten Jahren US-Güter im Wert von 200 Milliarden US-Dollar zu kaufen, was zur Entschärfung eines eskalierenden Handelskonflikts zwischen den beiden Ländern beitrug
Die Märkte begrüßten zwar diesen ersten Schritt, mit dem weiterer Schaden vom Welthandel abgewendet wurde, das Phase-Eins-Abkommen wurde aber schon bald von der Covid-19-Pandemie überschattet. Handelsdaten des US Bureau of Census, das die Einhaltung des Abkommens durch China überwacht, haben jedoch kürzlich Anlass zur Sorge gegeben, weil die zusätzlichen Käufe US-amerikanischer Güter durch China Ende Juli erst bei 48 % des seit Jahresbeginn vorgesehenen Ziels lagen (Abbildung 1).
Beeinträchtigungen der Nachfrage durch die Pandemie und steigende politische Spannungen haben zu diesem Verstoß Chinas gegen die Zusagen beigetragen. Vor dem Hintergrund eines polarisierten US-Wahlkampfs könnte der Handelsfrieden allerdings zerbrechlicher sein, als von den Anlegern erhofft, und neue Handelsstreitigkeiten stellen ein zunehmendes Risiko für die Märkte dar.
Könnte ein erneuter Handelskonflikt die Attraktivität chinesischer Anlagen schwächen? Bei Betrachtung dieser Frage müssen Anleger unserer Ansicht nach drei Aspekte berücksichtigen: Die Handelsabhängigkeiten Chinas, die Folgen einer ökonomischen Entkopplung und strukturelle Wachstumschancen.
Handelsabhängigkeiten: Binnenwirtschaftliches Wachstum überwiegt mögliche Beeinträchtigungen des Handels
Der Handelskonflikt und die Einführung von Zöllen war ein großes Thema und viel beachtetes Risiko für die Märkte in den Jahren 2018 und 2019. Wenn wir uns allerdings die Entwicklung der Aktienmärkte nach der Ankündigung neuer Zölle durch die US-Regierung ansehen, sind die Reaktionen anscheinend moderat ausgefallen. Bei den sechs Ankündigungen neuer Zölle durch die USA gab der lokale Markt für China-A-Aktien im Durchschnitt um 2 % während der fünf Tage nach der Ankündigung nach, mit einem maximalen Minus von 3,9 % im Juni 2018 (Abbildung 2).
Auch die Auswirkungen auf die globalen Märkte hielten sich in Grenzen. Ein Grund für die geringfügige Reaktion der Märkte war die rückläufige Abhängigkeit Chinas vom Welthandel.
Zwischen 2010 und 2019 fiel der Anteil der Güter- und Dienstleistungsexporte am BIP in China von 28,5 % auf 18,8 %, mit einem Rückgang des in die USA exportierten Anteils von 4,7 % auf 2,9 %. Die chinesische Wirtschaft wird zunehmend vom Binnenkonsum angetrieben, wodurch sie weniger anfällig für Exportschocks wird, beispielsweise in Form von Zöllen.
Auf Sektorebene gibt es jedoch weiterhin Anfälligkeiten. Zum Beispiel machen Computer-Hardware, Mobiltelefone und Telekommunikationsausrüstung, auf die der Großteil der chinesischen Exporte in die USA entfällt, 9 % des inländischen Marktes für China-A-Aktien, die im CSI 300 Index abgebildet sind, aus. Jede weitere Verschlechterung der Handelsbeziehungen würde diese Sektoren also beeinträchtigen.
Die größte Gefahr für die chinesische Volkswirtschaft ist allerdings nicht bei den Exporten in die USA zu finden. Stattdessen liegt die wichtigste Handelsabhängigkeit Chinas in den Importen US-amerikanischer Halbleiter, die dem Volumen nach die drittgrößte Importware aus den USA darstellen. Ein Großteil der chinesischen Technologieindustrie, einschließlich der Bereiche 5G, mobiles Internet und künstliche Intelligenz, ist von US-amerikanischer Mikrochip-Technologie abhängig. Ein vollständiges Verbot von Technologieexporten nach China durch die US-Regierung könnte die chinesische Wirtschaft stark beeinträchtigen und dadurch auch erhebliche Störungen an den Aktienmärkten verursachen. Ein Exportverbot für
US-Technologie wäre also wahrscheinlich der Worst Case in einem Szenario mit steigenden Handelsspannungen.
Ob die aktuelle US-Regierung vor der Wahl im November eine volle Eskalation des Handelskonflikts und damit Turbulenzen an den Kapitalmärkten zu riskieren bereit ist, dürfte zumindest fraglich sein. Auch wenn aus Umfragen hervorgeht, dass eine zunehmende Anzahl von Amerikanern unabhängig von ihrer politischen Präferenz China gegenüber Vorbehalte hat, weisen aktuelle Befragungen darauf hin, dass dieses Thema in der Priorität der Wähler weit hinter wirtschaftlichen, gesundheitlichen und gesellschaftlichen Fragen liegt.
Ökonomische Entkopplung: Beurteilung der Risiken und Chancen
Trotz der steigenden Handelsspannungen mit den USA und der Initiative Pekings zu mehr Autarkie und Entkopplung von globalen Wertschöpfungsketten sollten Anleger die Anlagechancen, die sich in Form chinesischer Werte bieten, nicht außer Acht lassen, weil Sie im Kielwasser der Covid-19- Pandemie im Vergleich zum Rest der Welt attraktiv aussehen (Abbildung 3).
Nach der Öffnung des 15 Billionen US-Dollar umfassenden Markts für Renminbi-Anleihen für ausländische Investoren haben renditehungrige internationale Anleiheninvestoren jetzt die Gelegenheit, in Staatsanleihen mit höheren Renditen als
3 % anzulegen. Neben dem Zugang zu höheren Renditen bieten lokale Renminbi-Anleihen außerdem eine relativ niedrige Korrelation zu Industrieländeranleihen und ein Zero-Return- Beta gegenüber globalen Aktien, so dass Anleger mit ihnen ihre Diversifizierung verbessern und höhere risikobereinigte Renditen anstreben können.
In den letzten 12 Jahren lag die Korrelation der monatlichen Renditen zwischen Renminbi-Anleihen und globalen Industrieländeranleihen bei 0,06 gegenüber einer Korrelationsspanne von 0,43 bis 0,72 bei Industrieländeranleihen bei 0,06, gegenüber einer Korrelationsspanne von 0,43 bis 0,72 bei Industrieländeranleihen untereinander. Genau wie bei der Wertentwicklung in der Vergangenheit kann natürlich nicht garantiert werden, dass sich die Korrelationen aus der Vergangenheit wiederholen. Angesichts des frühen Erfolgs von China beim Eindämmen der Covid-19- Pandemie, durch den sein Konjunkturzyklus nicht mehr synchron zum Rest der Welt verläuft, und der weniger expansiven Reaktion der chinesischen Zentralbank im Vergleich zu den Industrienationen, gehen wir jedoch auf absehbare Zeit von einer weiterhin niedrigen Korrelation aus.
Strukturelle Wachstumschancen: Chinesische Aktien
Nach einer Phase mit starker Outperformance könnten Anleger chinesische Aktien mit einer gewissen Skepsis betrachten, insbesondere vor dem Hintergrund steigender Handelsspannungen und Bewertungen. Auf kurze Sicht sind die ökonomischen Rahmenbedingungen aber sehr günstig für den Aktienmarkt, insbesondere bei binnenmarktorientierten Unternehmen.
Die Eindämmung der Pandemie in China sollte es der dortigen Wirtschaft ermöglichen, sich schneller zu erholen als der Rest der Welt, und dieser relative Vorteil dürfte voraussichtlich andauern, bis eine medizinische Lösung für Covid-19 gefunden wird, was seinerseits schwer vorherzusagen ist (Abbildung 4a). Was den Investment Case für inländische China-A-Aktien allerdings noch überzeugender macht, ist der kontraintuitive Faktor, dass die Konjunkturmaßnahmen in diesem Abschwung sehr viel geringer ausfielen als die letzten beiden Male (Abbildung 4b). Es ist also nicht zu erwarten, dass ein durch massive Hilfspakete angetriebener Aufschwung in China zu einer stärkeren Nachfrage nach Importen aus Asien und dem Rest der Welt führt, was lokale chinesische Anlagen im Vergleich attraktiver macht.
China verändert sich – von der Werkbank der Welt in Richtung des weltweit größten Binnenmarkts; daher müssen chinesische Aktien in global diversifizierten Investmentportfolios weiterhin ein erhebliches strategisches Gewicht haben.
Und da das Wachstum der Unternehmensgewinne im Markt für China-A-Aktien das nominelle BIP-Wachstums Chinas im Verlauf der letzten 10 Jahren besser abbildet als der MSCI China, werden Anleger für ihr Engagement in China möglicherweise weiterhin zu inländischen Aktien greifen (Abbildung 5).
Zusammenfassung
Ein Handelskonflikt zwischen den größten Volkswirtschaften der Welt stört die etablierten Wertschöpfungsketten und wird mit Sicherheit das globale Wachstum beeinträchtigen. Anleger sollte also mit gutem Grund auf jede weitere Eskalation der Spannungen achten.
Es wäre unserer Ansicht nach allerdings ein Fehler, China in einem solchen Konflikt als eindeutig Unterlegenen zu betrachten und deshalb Investitionen in die lokalen Märkte zu vermeiden. Wie wir gezeigt haben, sind die direkten Auswirkungen der Handelsspannungen auf die chinesische Volkswirtschaft begrenzt. Auch bei einer weiteren Entkopplung zwischen China und den USA könnten die Argumente für lokale Anlagen in China wegen der Diversifizierungsvorteile, die diese Werte bieten, an Gewicht gewinnen.
Die Tatsache, dass die Gewinne chinesischer A-Aktien in den letzten 10 Jahren das starke BIP-Wachstum Chinas widergespiegelt haben, sollte Aktienanlegern Zuversicht und Vertrauen verschaffen. Demgegenüber könnte ein weniger kooperatives internationales Handelsumfeld in den kommenden Jahren dazu führen, dass Unternehmen außerhalb Chinas einen Teil Ihrer Gewinne aus der Expansion der chinesischen Volkswirtschaft einbüßen.