Die Auswirkungen höherer Zinsen auf Immobilien und Verbraucher
Während eine Korrektur der Immobilienpreise unvermeidlich erscheint, ist eine der Schlüsselvariablen, die das Ausmaß des Abschwungs bestimmen werden, der Erfolg der Zentralbanken bei der Eindämmung der Inflation.
Immobilienmärkte haben in den letzten Jahren seit dem Tiefpunkt der globalen Finanzkrise einen Boom erlebt, wobei sich die Käufe beispiellos niedrige Finanzierungskosten zunutze gemacht haben. Nun mussten die Zentralbanken im Bemühen, die rapide Inflation in den Griff zu bekommen, die Kreditkosten marginal anheben. Es fragt sich, ob dieses Umfeld mit höheren Zinsen einen neuen Immobiliencrash und eine umfassendere Wirtschaftskrise auslösen wird.
Unserer Ansicht nach bedürfen die Immobilienpreise tatsächlich einer Korrektur, was sich ungünstig auf das Wachstum auswirken könnte. Im Vergleich zur letzten Krise gibt es jedoch einige abmildernde Faktoren. Das Wohnungsangebot ist niedrig, die Laufzeiten der durchschnittlichen Hypotheken sind länger, und es herrscht Arbeitskräftemangel. Am wichtigsten ist, dass die Bilanzen der Banken viel robuster sind als vor der Finanzkrise, wodurch sie weniger anfällig für eine Konjunkturschwäche sind.
Zentralbanken versuchen einen überhitzten Immobilienmarkt abzukühlen
Die Entschlossenheit der Zentralbanken, die Inflation auf ihre Zielwerte zurückzubringen, hat die Fundamentaldaten des Immobilienmarktes geändert. In den USA, Großbritannien und der Eurozone wurden die Zinsen so schnell erhöht wie zuletzt vor 30 Jahren, wodurch die Renditen von Staatsanleihen überall in die Höhe schnellten. Dem zufolge haben sich die Hypothekenzinssätze in den USA von ihrem Tiefpunkt nach der Pandemie verdoppelt und in den meisten europäischen Ländern verdreifacht. Angesichts der in den letzten sieben Jahren stark gestiegenen Hauspreise (Abb. 1), hat der Anstieg der Zinssätze die Erschwinglichkeit von Eigenheimen auf das niedrigste Niveau seit der letzten Immobilienkrise im Jahr 2006 gedrückt. Im Jahr 2022 brachen Immobilientransaktionen drastisch ein und Hauspreisdaten im zweiten Halbjahr hatten bereits eine Schwäche des Preisumfelds in Nordamerika und Europa signalisiert.
Abbildung 1: Nominelle Hauspreise
Quelle: OECD, J.P. Morgan Asset Management. Daten zum 31. Dezember 2022.
Schwachpunkte des Hausmarktes
Von den Tiefen der Finanzkrise stiegen die nominellen Hauspreise global um 75%, was den Immobilienmarkt in Nordamerika und den meisten europäischen Ländern in überbewertetes Territorium trieb. Das Wachstum der frei verfügbaren Einkommen konnte im selben Zeitraum nicht Schritt halten. Deshalb nähert sich das Verhältnis der Immobilienpreise zum verfügbaren Einkommen in vielen großen Industrieländern historischen Spitzenwerten oder hat diese bereits erreicht (Abb. 2). Dadurch sind die aktuellen Immobilienmärkte erheblich anfälliger für höhere Zinssätze und Finanzierungskosten. Die Überbewertung ist allerdings nicht gleichmäßig verteilt. Japan, Italien und Spanien sind die einzigen G20-Länder, in denen das Verhältnis unter dem historischen Durchschnitt liegt.
Abbildung 2: Verhältnis der Hauspreise zum frei verfügbaren Einkommen privater Haushalte
Quelle: Federal Reserve Bank of Dallas, J.P. Morgan Asset Management. Daten zum 31. Januar 2023.
Die Bedeutung der Kennzahl „Preis zu verfügbarem Einkommen“ für die Aussichten des Immobilienmarktes lässt sich mit dem Kurs-Gewinn-Verhältnis bei Aktien vergleichen. Kurzfristig hat sie wenig Relevanz, für die langfristige Wertentwicklung sind die Bewertungen jedoch wichtig. In den USA hat es beispielsweise in den letzten 50 Jahren nur zwei Phasen mit größeren Hauspreisrückgängen gegeben. Beide Phasen folgten nach einem Anstieg des Indikators für Preise zu verfügbaren Einkommen über 1,0. In beiden Fällen waren erhebliche geldpolitische Straffungen und ein starker Anstieg der Arbeitslosigkeit erforderlich, um die überschwänglichen Immobilienpreise zu dämpfen. Im dritten Quartal 2022 stand dieser Indikator bei 1,06 – was ein beispiellos hoher Wert ist (Abb. 3).
Abbildung 3: US-Hauspreisindex vs. Verhältnis Hauspreise zum frei verfügbaren Einkommen privater Haushalte*
Quelle: Federal Reserve Bank of Dallas, J.P. Morgan Asset Management. „Rezessions“ perioden werden anhand der Konjunkturzyklusdaten des US National Bureau of Economic Research (NBER) definiert.
* Hauspreisindex und frei verfügbares Einkommen privater Haushalte wurden 2005 auf 100 umbasiert. Frei verfügbares Einkommen privater Haushalte wird pro Kopf ausgewiesen. Daten zum 31. Januar 2023.
Seit Beginn 2022 sind die Zinsen für neue Hypotheken erheblich angestiegen. In den USA haben sich die Kosten für 30-jährige Hypotheken für Neubauten auf 50% des mittleren Haushaltseinkommen verdoppelt, während sich Hypothekenzinssätze in Europa im Durchschnitt verdreifacht haben. Die Erschwinglichkeit von Immobilien liegt heute auf einem mehrjährigen Tiefpunkt. Immobilientransaktionen sind stark rückläufig, weil sich eine immer kleinere Anzahl von Haushalten einen Hauskauf leisten kann (Abb. 4). Daten aus den 1980er Jahren zeigen jedoch, dass selbst in Phase mit hohen Finanzierungskosten das Geschäft mit Wohnimmobilien nie ganz zum Stillstand kommt, weil wohlhabende Haushalte die laufenden Finanzierungskosten durch eine höhere Eigenkapitalbeteiligung reduzieren können. Hochwertige Lagen sind deshalb in Schwächephasen der Hausmärkte widerstandsfähiger.
Abbildung 4: US-Hypothekenzinsen vs. Einfamilienhausverkäufe
Quelle: Bloomberg, Census Bureau, J.P. Morgan Asset Management. „Rezessions“perioden werden anhand der Konjunkturzyklusdaten des US National Bureau of Economic Research (NBER) definiert. Verkäufe von Einfamilienhäusern werden saisonal bereinigt und annualisiert. Daten zum 24. Februar 2023.
Die mäßige Investitionstätigkeit in diesem Wohnungsbauzyklus hat zu relativ niedrigen Beständen geführt. Das ist ein grundlegender Unterschied zur Situation im Jahr 2006, als es in den USA aufgrund der übermäßigen Bautätigkeit einen großen Angebotsüberhang gab. Die Leerstandsquote von Mietimmobilien lag Ende 2022 mit 5,8% deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt von 7,3%. Der Angebotsmangel dürfte das Ausmaß der Korrektur der Hauspreise kurzfristig abmildern und sich fördernd auswirken, sobald die Zinsen und Finanzierungskosten sinken.
Um ein Gleichgewicht an den Immobilienmärkten zu finden, muss sich die Erschwinglichkeit normalisieren. Das kann auf drei Wegen erfolgen:
Rückgang der nominellen Preise
Rückgang der Zinskosten
Anstieg der verfügbaren Einkommen
Unserer Ansicht nach gibt es gute Chancen, dass alle drei Variablen zur Verbesserung der Erschwinglichkeit beitragen. Wie wir in unserem Investment-Ausblick 2023 Ein schlechtes Jahr für die Wirtschaft, ein besseres Jahr für die Märkte geschrieben haben, sollten die Konjunkturabkühlung im Westen und die Auflösung der Lieferkettenstörungen im Laufe des Jahres 2023 die Inflation mindern. Dies gibt den Zentralbanken die Möglichkeit, eine Pause einzulegen und schließlich die Zinssätze zu senken, wenn sich die Inflation 2024 dem Zielwert nähert, was zu einer Verkürzung der Anpassungszeit auf dem Immobilienmarkt beitragen dürfte. Zum Vergleich: Die drei Korrekturen der realen Hauspreise in den USA während der letzten 50 Jahre haben zwischen 2,5 und 5,5 Jahre gedauert.
Auswirkungen auf die reale Wirtschaft und die Verbraucher
Eine Abkühlung des Hausmarktes kann die BIP-Entwicklung auf dreierlei Weise beeinflussen: Geringerer Beitrag des Bausektors, Konsumrückgang und Gefahr einer Finanzkrise.
Ein Rückgang der Transaktionen und weniger Nachfrage nach Immobilien kann sich direkt auf den Mehrwert aus Bautätigkeiten und verbundenen Aktivitäten auswirken. Auf der Spitze des Immobilienbooms im Jahr 2006 lagen die Bruttoanlageinvestitionen in Wohnungen in der Eurozone bei 7% des BIP und fielen im Tiefpunkt nach der globalen Finanzkrise im Jahr 2015 auf 4,8% des BIP. Die Schwäche des Bausektors kann zwar zu einem schwächeren Wachstum in der Zukunft führen, der Sektor ist aber nicht groß genug, um die lokalen Volkswirtschaften in Nordamerika und Europa in eine Rezession zu stürzen.
Viel wesentlicher ist die Auswirkung auf den Konsum, der in den USA 68% des BIP ausmacht und 52% des BIP in Europa. Der Konsum kann auf zwei Weisen beeinträchtigt werden. Steigende Hypothekenkosten können die ermessensbasierten Ausgaben der Haushalte verringern. Die Stärke der Auswirkungen fällt je nach Land unterschiedlich aus, in Abhängigkeit der Dauer, bis die höheren Zinssätze an die Hausbesitzer weitergegeben werden. Dies hängt von der Eigenkapitalquote am Wohneigentum sowie von der durchschnittlichen Laufzeit der Hypotheken ab. Dahingegend scheinen Italien und Deutschland weniger anfällig zu sein als Schweden, Großbritannien und Spanien. In den USA schrumpfte der Anteil der Hypotheken mit variablem Zinssatz von über 20% im Jahr 2006 auf unter 5% im Jahr 2022, und Hypotheken mit einer Laufzeit von 30 Jahren werden jetzt am häufigsten genutzt. Insgesamt ist der gesamte Fremdkapitalanteil im Hausbesitz relativ hoch (Abb. 5).
Abbildung 5: Hauseigentum nach Hypothekenstatus
Quelle: Eurostat, OECD, J.P. Morgan Asset Management. Daten zum 31. Januar 2022.
Ein Rückgang der Hauspreise kann sich auch über den Vermögenseffekt negativ auf den Konsum auswirken, da auf Häuser 29% des Gesamtvermögens in den USA entfallen. Wenn die Arbeitslosigkeit nicht wesentlich steigt, ist der Vermögenseffekt möglicherweise nur begrenzt, da die Haushalte ohne die Gefahr einer finanziellen Notlage weniger Anreize haben, ihre Ersparnisse aufzustocken. Mit früheren konsumbedingten Rezessionen in den USA in den frühen 1980er Jahren, 1990/91 und 2008 ging jedoch ein starker Anstieg der Arbeitslosigkeit einher.
Eine geringe Erschwinglichkeit von Wohnraum und hohe Kosten für neue Hypotheken können sich ebenfalls negativ auf die Mobilität von Arbeitskräften auswirken. Das verstärkt den Arbeitskräftemangel in den USA und Europa und dämpft das Wachstum.
Das größte Risiko einer Abkühlung des Immobilienmarkts ist, dass sie in eine Finanzkrise eskalieren könnte. Im Vergleich zum Jahr 2006 sind Banken wesentlich besser kapitalisiert und die Kreditqualität ist deutlich höher (Abb. 6). Der US-Subprime-Markt machte in den Jahren vor der globalen Finanzkrise 25% der gesamten Hypothekenvergabe aus, während er heute weniger als 8% beträgt. Zwar wird ein Abschwung im Immobiliensektor voraussichtlich zu mehr Zahlungsrückständen führen, die Risiken für den Bankensektor scheinen jedoch eher idiosynkratisch als systemisch zu sein. Eine ausgeprägte Schwäche könnte die Banken jedoch dazu zwingen, die Kreditvergabe noch weiter einzuschränken, was sich negativ auf die Wirtschaftstätigkeit insgesamt auswirken könnte.
Abbildung 6: Core-Tier-1-Kapitalquoten
Quelle: IMF, Refinitiv Datastream, J.P. Morgan Asset Management. Die Core- Tier-1-Kapitalquoten sind eine Kennzahl für die finanzielle Stärke von Banken, die das Core-Tier-1-Kapital (Eigenkapital und ausgewiesene Rücklagen) mit der Summe der risikogewichteten Aktiva vergleichen. Guide to the Markets – Europe. Daten zum 31. Dezember 2022.
Fazit
Der Immobiliensektor ist derzeit aufgrund hoher Bewertungen, steigender Zinsen und geringer Erschwinglichkeit sehr anfällig für einen Abschwung. Die Risiken sind aufgrund von strukturellen Unterschieden und den Eigenschaften der lokalen Märkte global ungleichmäßig verteilt.
Eine Korrektur der Immobilienpreise scheint zwar unvermeidlich zu sein, allerdings wird der Erfolg der Zentralbanken bei der Eindämmung der Inflation eine Schlüsselvariable für das Ausmaß des Abschwungs sein. Unser Basisszenario sieht vor, dass es den Zentralbanken gelingen wird, bei der Straffung der Geldpolitik zumindest eine Pause einzulegen, weil der Inflationsdruck nachlässt, und in den folgenden Jahren zu einer akkommodierenden Haltung zurückzukehren, um den Abwärtstrend des Immobilienmarkts zu begrenzen.
Sollte die Inflation hartnäckig hoch bleiben, könnte eine restriktive Politik der Zentralbank den Rückgang der Immobilienpreise beschleunigen. Eine Verringerung der verfügbaren Einkommen durch steigende Hypothekenkosten und der negative Vermögenseffekt werden die Ausgaben der Verbraucher weiter einschränken, was schließlich zu einer Rezession in Europa und den USA führen könnte. Doch selbst in einem Inflationsszenario ist es wegen der niedrigen Vorratsbestände, der besseren Kreditqualität und der besseren Kapitalausstattung der Banken unwahrscheinlich, dass wir in einen Teufelskreis geraten.
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