LTCMA Neubewertung: COVID-19 – Neuer Zyklus, neuer Start
Executive Summary
30-04-2020
Jede Krise ist anders. Trotzdem können Lehren aus der Vergangenheit nützlich sein, wenn sich etwa Investoren in dem Schock zurechtfinden müssen, den Corona für Wirtschaft und Märkte bedeutet. Ausgehend von ihren Erfahrungen mit früheren Krisen, vom Börsencrash 1987 bis zur Staatsschuldenkrise, berichten unsere führenden Portfoliomanager, Kapitalmarktstrategen und Research-Analysten über ihre persönlichen Erinnerungen und teilen ihre daraus abgeleiteten Erkenntnisse.
Meine wichtige Lektion zum Thema Risiko aus dem Sommer 1998m the summer of 1998
Jeffrey Geller - Chief Investment Officer, Multi-Asset Solutions
Im Sommer 1998 konnte ich bereits auf fast 20 Jahre Erfahrung mit Hedging- und Arbitrage-Strategien für institutionelle Kunden zurückblicken. Meine Entscheidungen während des Crashs im Jahr 1987 hatte ich zu diesem Zeitpunkt als einen meiner Karrierehöhepunkte definiert. Ich hatte absolut keine Ahnung!
„Nach 42 Berufsjahren hatte ich eigentlich das Gefühl, schon wirklich alles gesehen zu haben. Doch so etwas wie die aktuelle Krise habe ich noch nie erlebt.”
Im Sommer 1998 konnte ich bereits auf fast 20 Jahre Erfahrung mit Hedging- und Arbitrage-Strategien für institutionelle Kunden zurückblicken. Meine Entscheidungen während des Crashs im Jahr 1987 hatte ich zu diesem Zeitpunkt als einen meiner Karrierehöhepunkte definiert. Ich hatte absolut keine Ahnung!
In diesem Sommer zeigten sich erste Verwerfungen in den russischen Schuldenmärkten und einigen Schwellenländern. Optionen mit einer Laufzeit von sechs Monaten bis zu einem Jahr, die ich normalerweise zur Absicherung gekauft hätte, wurden angesichts der Risikoprognose geradezu unglaublich billig gehandelt. Ich schnappte sie mir für meine Hedgingbewussten Kunden. Zugleich waren damals auch die Spreads in den von mir verfolgten Arbitragestrategien außergewöhnlich eng. Aus Risiko-Ertragsperspektive ergaben diese Relationen keinen Sinn, und sie erschienen mir nicht tragfähig. Also senkte ich das Arbitrage-Risiko über alle Portfolios hinweg massiv.
Im September crashte der Hedgefonds „Long-Term Capital Management“, dessen Portfoliopositionierung (einschließlich des unverschämt hohen Hebels) ein treibender Faktor für die Märkte gewesen war. Der Niedergang dieses Fonds eröffnete zugleich eine außergewöhnliche Chance. Ich verkaufte längerfristige Volatilität auf Aktienindizes um das Dreifache dessen, was ich im Sommer zuvor selbst bezahlt hatte, und das mit einem Aufschlag wie in der Zeit des Crashs von 1987. Zudem war gerade der Internet-Hype in vollem Gange und ermöglichte ein erfolgreiches Arbitrage-Spiel: Man konnte Calls auf eine Internet-Aktie kaufen und dann einen Leerverkauf dagegen tätigen.
Rückblickend erscheinen die Entscheidungen, die ich 1998 traf, ganz logisch, doch damals hatte ich durchaus Angst vor der eigenen Courage. Das hätte wirklich ein negativer Wendepunkt in meinem Berufsleben werden können, wäre meine Positionierung nicht aufgegangen. Und so habe ich diese Lektion für mich gelernt.
Heute, mit 42 Jahren Erfahrung an den Märkten, dachte ich wirklich manchmal, schon alles erlebt zu haben. Trotzdem ist mir so etwas wie die gegenwärtige Krise – ausgelöst durch eine globale Pandemie – noch nie begegnet! Kein Mensch weiß, wie lang oder tief der kommende Abschwung wird. Und gerade diese Ungewissheit erfordert eine ausgewogene Risikostrategie.
Dank Crashs zeigt sich der Wert langfristiger Investments
Dr. David Kelley, CFA - Chief Global Strategist, Head of Global Market Insights Strategy
Im Herbst 1987 lehrte ich Volkswirtschaft an der Michigan State University. Am 19. Oktober, es war ein Montag, stürzte ein aufgeregter Student mit der Nachricht in mein Büro, der Dow Jones Industrial Average sei um 508 Punkte, ganze 22,6 Prozent damals, abgestürzt. Ich erklärte ihm, warum das völlig unmöglich sei. Aber er hatte tatsächlich Recht, und wir erlebten den größten prozentualen Tageskurssturz in der Geschichte der USA. Rückblickend können wir viele wichtige Lehren aus diesem Crash von 1987 ziehen.
„Der Crash von 1987 trat ohne erkennbare Ursache ein, und er hatte keine signifikanten wirtschaftlichen Folgen."
Erstens war es ein Absturz ohne erkennbare Ursache. Der Aktienmarkt hatte fast fünf Jahre lang ohne wesentliche Korrekturen zugelegt, die Bewertungen waren überdurchschnittlich. Allerdings wuchs auch die Wirtschaft stetig, und es gab kaum ungewöhnliche geopolitische Spannungen. Manche meinten, der fallende Dollar habe den Crash ausgelöst. Das lässt sich allerdings nur schwer argumentieren, denn wie sollten Wechselkursschwankungen mehr als 20 Prozent des Werts von US-Unternehmen auslöschen?
Zweitens war es ein Crash ohne nennenswerte wirtschaftliche Folgen. Die Verbraucherausgaben entwickelten sich in den Monaten nach dem Crash 1987 unauffällig, das Wirtschaftswachstum setzte sich bis zur leichten Rezession 1990 fort.
Drittens ruft uns dieser Crash die Tatsache in Erinnerung, dass Aktienmarktrenditen keine normale Verteilung aufweisen. Die Standardabweichung der Tagesrenditen betrug im Jahr vor dem Crash nur 25 Indexpunkte. Wie schon so oft davor und danach wurde der Marktrückgang zusätzlich durch Transaktionen verstärkt, die eigentlich Risiko aus den Portfolios nehmen sollten, indem bei fallenden Märkten Aktien oder Aktienindex-Futures abgestoßen wurden.
Und schließlich zeigt uns der Crash den Wert langfristiger Investments. Wäre mein Student an diesem Nachmittag nicht zu mir, sondern zu einem Börsenmakler gelaufen, hätte dort sein Geld investiert und seither die durchschnittliche Rendite des S&P 500 kassiert – er hätte inklusive Dividenden einen Jahresertrag von 10,9 Prozent erzielt. Doch selbst wenn er all seine Ersparnisse am Freitag vor dem Crash an der Börse investiert hätte: seine Jahresrendite würde immerhin auch noch 10,0 Prozent betragen.
Was ich aus dem Platzen der Tech-Blase gelernt habe
Lee Spelman, CFA - Head of U.S. Equity
Ich liebte meinen Beruf als Investorin in Technologie-Aktien in den späten 1990-er Jahren. Was war das damals für eine aufregende Zeit! Das gerade erst entstehende Internet brachte fantastische Möglichkeiten. Man konnte online einkaufen oder von zu Hause aus arbeiten und Kontakte zu Freunden pflegen. Die „alte“ analoge Wirtschaft machte gerade der „neuen“ digitalen Wirtschaft Platz. Schon das „Dotcom“ im Namen eines Unternehmens ließ dessen Bewertung in die Höhe schnellen, gelegentlich über das 100-Fache der tatsächlichen Gewinne hinaus (erzielte das Unternehmen keine Gewinne, gab es eben einfach die Traffic-Zahlen auf der Website an).
„Aktien haben den Wert ihrer zukünftigen Cashflows – einen Ersatz gibt es nicht.”
Die Kurse von Technologieaktien stiegen exponentiell. Damals wollte scheinbar jeder, vom Taxifahrer bis zum Arzt, Day Trader werden. Und während die meisten Krisen ihre Wurzeln in der Angst; haben, wurde diese durch die Gier der Menschen ausgelöst.
Ihren Höhepunkt erreichte sie im März 2000. Es war kein großer Knall, kein bestimmtes Ereignis, das den Absturz auslöste. Spektakuläre Konkursfälle und die Anschläge von 9/11 mögen dazu beigetragen haben, aber eigentlich ereignete sich damals eine langsame, stetige Erosion, die vom Gipfel bis zur Talsohle zu einem Einbruch des Technologieindex Nasdaq um 78 Prozent führte. Erst nach 15 Jahren erreichte der Index wieder seinen vorherigen Höchststand.
Aus dieser Zeit habe ich einige Lehren gezogen:
- Man lässt sich zu leicht in einen Hype hineinziehen - wir wollen ja an Innovationen und Wachstum glauben.
- Zunächst vollzieht sich der Wandel langsamer als gedacht, aber irgendwann hebt er ab. Das Internet hat tatsächlich alles verändert, das aber hat länger gedauert als prognostiziert. Richtig dynamisch wurde der Prozess erst mit der Konvergenz von Mobilität, Big Data und Cloud.
- Aktien haben den Wert ihrer zukünftigen Cashflows – einen Ersatz gibt es nicht.
- Aktienkurse können noch viel tiefer fallen, als man es je für möglich gehalten hätte, auch nach einem vorangegangenen Kurssturz.
- Aktien kaufen und dann vergessen? Unmöglich! Die meisten führenden Technologieaktien der Dotcom-Ära haben sich nie mehr erholt. Stattdessen schafften es neue Titel an die Spitze.
Aus all diesen Lehren ziehe ich für mich persönlich folgenden Schluss: Entscheidend für einen langfristigen Anlageerfolg ist die aktive Titelauswahl und das andauernde Portfolio Management.
Leverage-Lektionen aus den Kreditmärkten der Jahre 2000-2002
Lisa Coleman - Head of Global Investment Grade Corporate Credit
Als im Jahr 2000 Volatilität auf den US-Kreditmärkten zum Thema wurde, hatte ich gerade meine neue Stelle als Managerin globaler Kreditportfolios bei einem Asset Manager angetreten. Die Märkte konzentrierten sich damals auf die höhere Fremdverschuldung der Unternehmen, das Schreckgespenst Rating ging um. Wenn ich auf den Zeitraum 2000-2002 zurückblicke, sehe ich deutliche Ähnlichkeiten mit der Situation heute – „Leverage“ und „Fallen Angels“ kennen wir auch jetzt nur zu gut. Allerdings gibt es auch deutliche Unterschiede.
„Wir werden vielleicht noch lange mit einem qualitativ minderwertigen Anlageuniversum leben müssen.”
Als im Jahr 2000 Volatilität auf den US-Kreditmärkten zum Thema wurde, hatte ich gerade meine neue Stelle als Managerin globaler Kreditportfolios bei einem Asset Manager angetreten. Die Märkte konzentrierten sich damals auf die höhere Fremdverschuldung der Unternehmen, das Schreckgespenst Rating ging um. Wenn ich auf den Zeitraum 2000-2002 zurückblicke, sehe ich deutliche Ähnlichkeiten mit der Situation heute – „Leverage“ und „Fallen Angels“ kennen wir auch jetzt nur zu gut. Allerdings gibt es auch deutliche Unterschiede.
Für den Zeitraum 2000-2002 waren mehrere Faktoren charakteristisch. Zunächst ging es um die Folgen der Deregulierung der Telekombranche (was zu erheblichen Überkapazitäten führte) und des kalifornischen Strommarktes in den 1990-er Jahren. Einzelne Elemente dieser Deregulierung ermöglichten Unternehmen ein Fehlverhalten, das letztlich zum Zusammenbruch von Enron und Worldcom führte. (Ich erinnere mich noch an ein stressiges Wochenende nach unserer Entscheidung, Enron wegen wachsender Bedenken über das Geschäftsgebaren des Unternehmens abzustoßen. Wir beschlossen damals, mit dem Verkauf der Euro-Schuldverschreibungen bis Montag zu warten, da wir einen höheren Preis erzielen wollten. Tatsächlich verkauften wir praktisch zum Nennwert, und das nur wenige Wochen vor dem endgülitgen Zusammenbruch von Enron). Ein weiteres prägendes Erlebnis dieser Zeit war der Schock von 9/11. Letztlich gab es nie so viele „gefallene Engel“ wie im Zeitraum 2001-2002, und die Wirtschaft rutschte in die Rezession ab.
US-Unternehmen gingen mit angespannten Bilanzen in diese Rezession, doch nach dem Peak 2002 sank der Verschuldungsgrad schrittweise wieder. Hier sehe ich einen wesentlichen Unterschied zum aktuellen Zyklus. Der Verschuldungsgrad der Unternehmen war zu Beginn der Rezession 2020 höher als am Höhepunkt 2002, und es ist damit zu rechnen, dass die Verschuldung zu Beginn des nächsten Zyklus sogar noch höher ausfallen wird.
Wir glauben nicht an eine V-förmige Erholungskurve, und in einem wenig robusten wirtschaftlichen Umfeld könnten Unternehmen wesentlich stärker fremdfinanziert bleiben als in früheren Zyklen. Zudem kauft die US-Notenbank erstmals Anleihen einiger gefallener Engel (Unternehmen mit Investment-Grade-Ratings, seit 22. März) und schafft damit eine Auffanglösung. Alles in allem werden wir so vielleicht noch länger mit einem Anlageuniversum von geringerer Qualität zurechtkommen müssen.
2000–02: Das Problem mit den Bärenmarkt-Rallyes
Katy Thorneycroft - Portfolio Manager, Multi-Asset Solutions
Am Höhepunkt des Technologiebooms im Jahr 1999 kam ich als frisch gebackene Portfoliomanagerin direkt von der Uni in das europäische Behavioral Finance Aktienteam . Ich studierte die verschiedenen Bewertungsgrundsätze und stellte interessiert fest, dass ein diskontierter Cashflow offensichtlich jeden Aktienkurs rechtfertigt, solange die Prognosen optimistisch genug sind und ein entsprechend extravaganter Endwert erwartet wird.
„Aus einer Bärenmarkt-Rallye können Sie als Held hervorgehen ... oder als das Gegenteil."
Am Höhepunkt des Technologiebooms im Jahr 1999 kam ich als frisch gebackene Portfoliomanagerin direkt von der Uni in das europäische Behavioral Finance Aktienteam . Ich studierte die verschiedenen Bewertungsgrundsätze und stellte interessiert fest, dass ein diskontierter Cashflow offensichtlich jeden Aktienkurs rechtfertigt, solange die Prognosen optimistisch genug sind und ein entsprechend extravaganter Endwert erwartet wird.
Als sich der Zyklus seinem Höhepunkt näherte, konzentrierte ich mich auf kleine und mittlere Unternehmen. Rückblickend weiß ich heute, dass ich großes Glück hatte, für einen erfahrenen Portfoliomanager zu arbeiten, der bereits mehrere Baissemärkte überstanden hatte. Er sorgte dafür, dass ich mich auf die Cashflows und Bilanzen der Unternehmen konzentrierte.
Aus der Baisse der Jahre 2000-2002 habe ich für mich so vor allem zwei Lehren gezogen. Erstens: Baissemarkt-Rallys können zunächst brutal sein. Wenn ich mich richtig erinnere, fiel der FTSE 2001 um insgesamt 15 Prozent, doch am Jahresende trat dann eine Erholung um 20 Prozent ein. Wir werden noch länger nicht wissen, ob die jüngste Rally in diesem Jahr tatsächlich in einem Baissemarkt stattfand. Je nach deiner Positionierung kannst du aus einer Baissemarkt-Rally als Held hervorgehen ... oder als das Gegenteil. In meiner ersten Zeit in der Branche erfuhr ich, wie wichtig es ist,den festgelegten Investmentgrundsätzen treu zu bleiben und zugleich bescheiden genug, um bei geänderter Faktenlage notfalls den Kurs zu ändern.
Zweitens: Anleger können Bewertungen eine gewisse Zeit lang, kaum aber auf Dauer, ignorieren. Value-Aktien waren in den späteren Phasen der Hausse der späten 1990-er Jahre unpopulär geworden. Doch nach dem Ende der Baisse 2003, als die Weichen für neues Wachstum gestellt waren, konnten sich die Anleger den Luxus leisten, preisbewusster vorzugehen. Auch hier werden wir erst nachträglich klüger sein, doch sollte der nächste Zyklus ein höheres Nominalwachstum bringen, könnte das für die seit langem unterbewerteten Value-Aktien Rückenwind bedeuten.
Der Crash 1987: Erste Sichtung eines Schwarzen Schwans gleich nach der Ausbildung
Patrik Jakobson - Portfolio Manager, Multi-Asset Solutions
Ich hatte mein Traineeprogramm bei J.P. Morgan erst wenige Wochen abgeschlossen, als am 19. Oktober 1987, dem berühmten Schwarzen Montag, die Aktienmärkte einbrachen. Von meinem Schreibtisch in der alten Zentrale, Wall Street 23, aus konnte ich direkt aufs Börsenparkett der New Yorker Börse sehen. „Worauf habe ich mich da eingelassen?“, fragte ich mich.
„Wie der Name vermuten lässt, sind Black-Swan-Ereignisse so selten wie ihre Namensgeber – eigentlich. Zumindest in den letzten 30 Jahren aber begegnet man ihnen doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit.”
Damals erinnerten sich noch alle an die Double-Dip-Rezessionen der frühen 1980-er Jahre, und ein Abschwung schien unvermeidlich. Doch in nicht einmal einem Jahr hatte der Aktienmarkt wieder seine früheren Höchststände erreicht, und zur Rezession kam es in den USA erst 1990, also mehrere Jahre später.
Der Schwarze Montag traf wie aus dem Nichts auf überbewertete Aktien und entspannte Anleger. Portfolioversicherungen „garantierten“ damals Schutz gegen Verluste – aber natürlich nur, solange sie funktionierten. Im Endeffekt verstärkten sie sogar den Sell-off von 1987. Diese Gemeinsamkeit haben sie mit nachfolgenden Krisen, wo die Finanzmärkte oder Financial Engineering ebenfalls als Ursachen oder zumindest verstärkende Faktoren fungierten.
Aber wer denkt schon, solange alles seinen normalen Gang geht, an Left-Tail-Risiken oder Black-Swan-Ereignisse? Schließlich sind diese der Definition nach selten. Doch wenn wir gut 30 Jahre zurückblicken, scheinen sie doch regelmäßiger einzutreten: Man denke nur an die asiatische Finanzkrise und die Pleite von „Long-Term Capital Management“, das Platzen der Dotcom-Blase, die globale Finanzkrise und die europäische Staatsschuldenkrise. Bei alldiesen Ereignissen handelt es sich trotz unterschiedlicher Merkmale um eigentlich undenkbare Ereignisse.
Meine jüngeren Kollegen können sich das kaum vorstellen, aber im Oktober 1987 mussten wir ohne Computer oder Mobiltelefone auskommen. Unser Handel war analog und langsam. Heute, in einer globalen Pandemie, wird J.P. Morgan Asset Management im Wesentlichen per „Remote-Management“, d.h. von zu Hause aus geführt. Das ist bemerkenswert – und bezeichnend für die fundamentale Resilienz der Wirtschaft und der Märkte in Krisen aller Art.
Staatsschuldenkrise: Wichtig ist das große Ganze
Karen Ward - Chief Market Strategist, EMEA, Global Market Insights Strategy
Für die Länder der europäischen Währungsunion war die Finanzkrise 2009 nicht zu Ende. Für viele war 2009 sogar erst der Anfang. Mit zunehmender Verschuldung der Staaten verlagerte sich die Aufmerksamkeit der Anleger bald weg von möglichen Bankenpleiten und hin zu einem potenziellen Zahlungsausfall der Staaten. Als Sell-Side-Ökonomin musste ich mir in der Staatsschuldenkrise (etwa von 2010-2012) eine Meinung darüber bilden, ob die Eurozone letztlich auseinanderbrechen würde oder nicht.
„Ich empfand es so, dass die Eurozone in erster Linie eine politische Union ist. In der Krise ging es eher um politisches Engagement als um Wirtschaft.”
Für die Länder der europäischen Währungsunion war die Finanzkrise 2009 nicht zu Ende. Für viele war 2009 sogar erst der Anfang. Mit zunehmender Verschuldung der Staaten verlagerte sich die Aufmerksamkeit der Anleger bald weg von möglichen Bankenpleiten und hin zu einem potenziellen Zahlungsausfall der Staaten. Als Sell-Side-Ökonomin musste ich mir in der Staatsschuldenkrise (etwa von 2010-2012) eine Meinung darüber bilden, ob die Eurozone letztlich auseinanderbrechen würde oder nicht.
Bei aller Verschiedenheit von Krisen bleibt unser analytisches Instrumentarium im Wesentlichen gleich. Mich erinnern Krisen an die Bilder der Impressionisten. Allzu nahe an der Leinwand kann man nichts mehr erkennen. Doch sobald man ein paar Schritte zurücktritt, wird alles viel klarer.
In einer Krise ist es wichtig, das große Ganze zu betrachten. Als Ökonomin – und Studentin der Geschichte – verstand ich, dass die Eurozone in erster Linie eine politische Union ist. Daher ging es in der Krise eher um politisches Engagement als um die Wirtschaft. Ich hegte an Deutschlands Engagement für das Projekt Europa keine Zweifel, weshalb ich darauf vertraute, dass letztlich Kompromisse geschlossen werden würden, und ich behielt Recht. Das war viel wichtiger, als die Einzelheiten der verschiedenen Rettungspakete im Detail zu verstehen.
Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, physisch und mental zunächst einen Schritt zurückzutreten. In der Staatsschuldenkrise fassten die politischen Entscheidungsträger wichtige Beschlüsse spät in der Nacht zum Sonntag oder in den frühen Morgenstunden des Montags nach einer Sitzung der Eurogruppe. Wach zu bleiben, um über die Pressekonferenz berichten zu können, und dann einen ganzen Tag lang Kundentermine wahrzunehmen, war physisch und psychisch mühsam. Klare, rationale Entscheidungen erfordern Erholung und Regeneration.
So wichtig es ist, eine klare Sicht zu haben, muss diese Sicht auch unbedingt hinterfragt werden. Teamkultur ist hier entscheidend. Gesunde Debatten sind immer wichtig, aber nie so sehr wie in einer Krise, in der die Emotionen und der Einsatz hochgehen.
Aus der Feuerprobe der Finanzkrise 2008 zum Aufstieg der Real Assets
Pulkit Sharma, CFA, CAIA - Head of Alternatives Investment Strategy and Solutions
„Baut erst einmal, dann kommen die Investoren schon“, lautete vor der Finanzkrise 2008 das Credo der Immobilienbranche weltweit. Während meiner Tätigkeit im Nahen Osten wurde ich Zeuge des dortigen Entwicklungsbooms, der einige der größten Bauwerke der Welt hervorbrachte. Obwohl keine direkte Verbindung zwischen der globalen Finanzkrise und den Schwellenländern bestand, zeigte die Krise doch einige Schwachstellen auf, die zu einem anhaltenden Einbruch der Immobilienmärkte führten, nachdem Entwicklungsprojekte verschoben oder eingestellt wurden.
„Finanzkrisen bringen Gewinner und Verlierer hervor. Bei Real Asset führten vertragliche gesicherte Cashflows und starke Kontrahenten zum Erfolg.”
Im Gegensatz zum Dotcom-Crash in den USA, der Immobilienanlagen unberührt ließ, griffen die Wellen der Hypothekenkrise 2008 auf die private und öffentliche Immobilienwirtschaft über. Zunächst zeigten sich Risse auf den Hypothekenmärkten mit Folgen für öffentliche und schließlich auch private Immobilien. Das Transaktionsvolumen schrumpfte, und ein erhöhter Liquiditätsbedarf führte zu immer längeren Warteschlangen bei der Rücknahme von Fondsanteilen, als die Investoren Kapital abzuziehen versuchten, wo immer sie es bekommen konnten.
Finanzkrisen bringen Gewinner und Verlierer hervor. Die Gewinner waren in unelastischen Nachfragesektoren investiert, verfügten über vertraglich gesicherte Cashflows und starke Kontrahenten. Private Kernverschuldung mit geringem Fremdanteil und Immobilienanlagen auf Primärmärkten schnitten besser ab als eine hohe Fremdverschuldung oder öffentliche und nicht zum Kernsegment gehörende private Immobilien. In dieser Zeit stieg auch Infrastruktur zur Anlageklasse auf. Ihr im Vergleich zu Immobilien zwar ähnliches, aber nicht korreliertes und defensiveres Renditeprofil machte sie zu einer passenden Ergänzung im Portfolio.
Jede Krise führt zu einer Neugestaltung der betroffenen Branchen, und die globale Finanzkrise löste eine Welle von Innovationen und Chancen für das nächste Jahrzehnt aus. Zu nennen sind etwa der Aufschwung der Logistikmärkte, erneuerbare Energien und die Globalisierung des Immobilienmarktes sowie das Aufkommen regulierungsgesteuerter Anlageklassen wie Transportleasing und Mezzanine-Immobilien. Qualitativ hochwertige Immobilien-Cashflows werden langfristig sichere Häfen sowie wichtige Ertrags- und Diversifizierungsquellen bleiben, und Anleger sollten zum Ausbau ihres Engagements in Sachwerten Ausschau nach neuen Quellen nachhaltiger Innovationen halten.
Das Quants-Chaos im Sommer 2007
Ted Dimig - Head of U.S. Advisory and Core Beta Solutions, Multi-Asset Solutions
Im Sommer 2007 war ich als Client Portfoliomanager bei J.P. Morgan tätig und leitete unser Produktteam für Behavioral Finance und Quantitative Aktienstrategien. Damals gaben Quants den Ton an, die Performance war stark, und wir hatten gerade unser erstes Long-Short-Produkt auf den Markt gebracht. Dann änderte sich scheinbar über Nacht einfach alles. In den ersten beiden Augustwochen – dem Auftakt zur globalen Finanzkrise, wie sich später herausstellte – kam es zu Abwicklungen im großen Maßstab.
„Meine wichtigste Erkenntnis aus dieser schwierigen Zeit? Nun: Eine Kakerlake kommt nie allein.”
Die Renditen übermäßig gehebelter Quant-Strategien stürzten ab (ein Ereignis von mehr als 5 Standardabweichung) und es kam deshalb zu beträchtlichen Rücknahmen. Die Ersten werden die Letzten sein. Unserer Eingebung folgend, hielten wir dies für einen vorübergehenden Zwischenfall und setzten auf Disziplin. Doch wir mussten bald zur Kenntnis nehmen, dass nun Chaos in der Welt der Quants herrschte. Und die Anleger mochten das Chaos nicht. Zwar gingen Quants letztlich gestärkt aus der Krise, aber in den folgenden zwei Jahren wurden schätzungsweise knapp 80 Prozent der Assets in Quant-Strategien liquidiert.
Meine wichtigste Erkenntnis aus dieser schwierigen Zeit? Nun, kurz und bündig: "Eine Kakerlake kommt nie allein." Was mit den Quants geschah, erwies sich als ein Frühwarnzeichen für die Finanzkrise in weiten Teilen der Weltwirtschaft. Anders ausgedrückt: Quants gehörten zwar zu den ersten, sie blieben aber keineswegs die einzigen Kakerlaken. Bei Auftauchen einer Krise gebietet es die menschliche Natur, nach Mustern aus früheren Krisen zu suchen. Tatsächlich ist aber jede Krise anders. Heute zwinge ich mich zu einer differenzierteren Sichtweise von Markt und Wirtschaft und versuche mich auf die Unterschiede zu früheren Situationen zu konzentrieren. So nützlich eine historische Perspektive sein kann, gerät ein allzu enger Fokus doch leicht zum Tunnelblick. Dann übersieht man, dass viel mehr Kakerlaken herumlaufen, um die man sich eigentlich kümmern müsste.
Austesten der Grenzen von Quant-Modellen in der Finanzkrise 2008
Katherine Santiago - Head of Quantitative Research, Multi-Asset Solutions
Ich begann im Jahr 2004 in der Finanzbranche zu arbeiten und die globale Finanzkrise 2008 war meine erste Live-Erfahrung mit einer Marktdisruption. Als Quant-Investorin erkannte ich, dass Entscheidungen über die Implementierung, also etwa über die Höhe des Risikos und den Hebel, Vorrang vor eigentlich „richtigen“ Portfolioansichten und -positionen haben. Ich erfuhr, dass die wahre Stärke eines robusten Anlageprozesses in der Fähigkeit liegt, Zyklen unterdurchschnittlicher Performance zu bewältigen, sich auf neue Informationen und Risiken einzustellen und die richtige Positionierung für die nächste Marktphase zu finden.
„Wer die Einschränkungen und Verzerrungen der eigenen Modelle kennt, kann besser auf massive Verwerfungen reagieren.”
Wer die Einschränkungen und Verzerrungen der eigenen Modelle kennt, kann besser auf massive Verwerfungen reagieren. Bewertungsgestützte Modelle zeigen einen Peak vielleicht schon früh an, während eher technische Modelle einen Wendepunkt eventuell erst später registrieren. Je nach Modell kann ein Anleger das erforderliche Tempo seiner Reaktion bewerten und entscheiden, ob er eher auf Abschwung oder Wiederaufschwung setzen möchte.
Aus dem Blickwinkel von Quant-Investitionen erweist sich unsere Datenabhängigkeit als schwächstes Glied jeder Marktverwerfung. Im Jahr 2008 versagten viele unserer Datenreihen wie z. B. der Libor oder andere Liquiditätskennzahlen, die in früheren Perioden zuverlässig funktioniert hatten, weil Liquidität und Marktbelastungen nicht nur die Marktpreise, sondern auch das Finanzsystem selbst beeinträchtigten. Somit hatten es unsere Modelle schwer, die realen Marktbedingungen richtig zu interpretieren, und sie vermochten nicht vorherzusagen, wohin sich die Märkte entwickeln würden. Man muss die eigenen Daten, ihre Grenzen und ihre genauen Auswirkungen auf die eigenen Modelle verstehen, um diese Art von Marktereignissen zu bewältigen. Auch in der gegenwärtigen Krise werden es die Wirtschaftsdaten wieder schwer haben, mit dem rasanten Tempo des plötzlichen Shut-downs der Wirtschaft und dem (noch unbekannten) Tempo des möglichen Wiederaufschwungs Schritt zu halten. Die Erschließung neuer Datenquellen zur Interpretation der Wirtschaftsaktivität kann nützlich sein, aber Investoren müssen sorgfältig nachdenken, bevor sie sich in in neue, unbekannte Terrains vorwagen.
Aus Krisen lernt man mehr – das ist auch diesmal nicht (wesentlich) anders
Anthony Werley - Chief Investment Officer, Endowments & Foundations Group
Am 19. Oktober 1987, als der Dow Jones Industrial Average um 22,6 Prozent einbrach, war dies der größte prozentuale Tagesverlust, den die USA je erlebt hatten. Ich leitete damals den Aktien-Trading-Desk der Bostoner Niederlassung einer außerordentlich dynamischen Investment-Banking-Firma. Wir wickelten an diesem 19. Oktober Dutzende von Transaktionen mit Wandelanleihen ab, deren Kurs 25 Prozent oder mehr unter dem Schlusskurs des Vortages lag. Und selbst diese Kurse waren nur die Clearing-Kurse des Tages, da Gerüchte über weitere massive Markteinbrüche kursierten und jede Transaktion zu einem riskanten Unterfangen machten. Als Anlageexperten, die das Gemetzel auf den Märkten beobachteten, waren wir überzeugt, dass etwas ganz Großes im Busch war, das die Märkte langfristig verändern sollte.
„Die Resilienz der Volkswirtschaften und Märkte erstaunt mich immer wieder.”
In den folgenden 32 Jahren erlebten wir noch einige weitere beängstigende Krisen: Und zwar die Krise von 1998, die durch den Zusammenbruch des russischen Rubels und des Hedgefonds „Long-Term Capital Management“ ausgelöst wurde. Dann im Jahr 2000 der Kursverfall der Technologieaktien und nicht zuletzt der Meltdown der Wirtschaft und der Märkte durch die globale Finanzkrise. Rückblickend scheint sich dabei ein Muster abzuzeichnen: Der Schock eines völlig unerwarteten (aber doch im Bereich des Möglichen) Ereignisses, dass zu sehr breiten Erklärungen der möglichen Folgen führt, die sich schließlich in dem Maße eingrenzen, wie sich die Ereignisse entwickeln und die politischen Entscheidungsträger die Krise so gut wie möglich bewältigen.
Zwar hatte der Crash von 1987 keine nennenswerten wirtschaftlichen Auswirkungen, doch die Finanzmarktteilnehmer, einschließlich der Investoren und Manager, zogen wertvolle Lehren daraus. Die „Portfolioversicherung“, damals die modernste Technik zur Absicherung von Portfolios, geriet in Misskredit – und tauchte in den folgenden Jahrzehnten in anderer Form doch wieder auf. Und in gewisser Weise ebneten die massiven Abflüsse der Anleger während des Crashs 1987 den Weg für die Hausse der 1990-er Jahre.
Die gegenwärtige Krise wird in den nächsten Jahren vor allem wegen der Gleichzeitigkeit einer schweren Krise des Gesundheitswesens und einer massiven Wirtschafts- und Marktkrise gravierende Auswirkungen haben. Aber die Resilienz der Volkswirtschaften und Märkte erstaunt mich immer wieder. Voraussichtlich werden die Ereignisse des Jahres 2020 bereits in Gang befindliche Veränderungen weiter beschleunigen, ihre Richtung aber nicht radikal verändern.
Vom Bärenmarkt auf zu neuen Chancen
John Bilton, CFA - Head of Global MultiAsset Strategy, Multi-Asset Solutions
Im Jahr 2008 erlebte ich die globale Finanzkrise vom Blickwinkel eines Derivate-Desks aus. Was mich an der Akutphase von Marktverwerfungen immer wieder verblüfft, ist die unheimliche Ruhe, die sich im Börsenhandel ausbreitet – ein krasser Gegensatz zu dem in den Medien gezeichneten Bild. Die Anlagemärkte mögen Purzelbäume schlagen, doch der Handel selbst ist oft gelähmt, und die wirkliche Hektik spielt sich hinter geschlossenen Bürotüren ab, wo es um die Folgenabschätzung geht.
„Eine Rezession bringt einen neuen Aufschwung, neue Haussemärkte und Anlagechancen hervor.”
Derivate werden häufig mit Hedging assoziiert, aber die Komplexität einiger dieser Instrumente spricht gegen ihre Wirksamkeit. So verringerte etwa das erhöhte Kontrahentenrisiko nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers den Wert mancher Hedging-Positionen weitaus stärker als die Kursbewegungen des Basiswerts. Cash ist letztlich in jeder Marktkrise das wertvollste Gut. Absicherungen sind wichtig, aber sie müssen einfach, liquide und wirksam sein, da es auf ihre Konvertibilität in Cash ankommt.
In einem Baissemarkt ist der erste Schock, bei dem Cash stark nachgefragt wird, ziemlich schnell vorbei. Was dann kommt,
ist eine eher zähe Phase. Benjamin Graham stellte fest, Märkte seien „kurzfristig Wahlmaschinen und langfristig Gewichtungsmaschinen“. Der erste Schock kann etwa der „Wahl“ der Investoren darüber entsprechen, ob genügend Cash zur Verfügung steht. Was dann folgt, ist eine Gewichtung oder Kalibrierung der langfristigen Folgen für Wachstum und Bewertungen.
In der jüngsten Krise begannen die Zentralbanken rasch damit, die Märkte mit Liquidität zu fluten, und es ist erfreulich, dass sich die anfänglichen Verzerrungen bereits beruhigen – wenngleich die wirtschaftliche Zukunft unsicher bleibt. Nun wird eine Preisfindung möglich, und die Gewichtungsphase kann beginnen. Als Veteran, der bereits vier Rezessionen und sechs große Marktkrisen erlebt hat, weiß ich, dass Rezession auch immer einen neuen Aufschwung, neue Haussemärkte und neue Investitionschancen hervorbringen.