Substanzwerte (Value) haben in diesem Jahr das Wachstumssegment deutlich übertroffen. Der MSCI World Index verlor über 20 %. Darin enthalten ist jedoch ein Minus von 30 % für den MSCI World Growth Index, während der MSCI World Value Index nur um 13 % nachgab.
Während der Kursrückgang bei Wachstumsaktien (Growth) breit angelegt war, verlief die Wertentwicklung von Substanzwerten jedoch deutlich uneinheitlicher. Der Hauptgrund für ihre Outperformance war der Kurssprung bei Energiewerten, aber auch einige defensive Sektoren wie Versorger und Basiskonsumgüter, die tendenziell von einer robusten Nachfrage profitieren, waren der relativen Rendite zuträglich. Dagegen litten die zyklischen Substanzsektoren wie Finanzen und Industriewerte stärker als der Durchschnitt der Substanzwerte, da sich die Anleger über das Rezessionsrisiko besorgt zeigte.
Wird sich die Outperformance der Substanzwerte fortsetzen? Wenn wir die wichtigsten Aufwärts- und Abwärtsszenarien betrachten, lautet die Antwort wahrscheinlich: ja. Innerhalb unseres Abwärtsszenarios könnte eine weitere Eskalation des Konflikts in der Ukraine die Rohstoffpreise und damit auch die Energiewerte weiter nach oben treiben (obwohl die Anleger achtsam auf den Umgang der Regierungen mit der Verlockung einer Besteuerung von Zusatzgewinnen achten sollten). In einem positiveren Szenario, in dem der globale Kostendruck nachlässt und sich die Wirtschaftsaktivität als robust erweist, haben die zyklischeren Bereiche des Substanzsegments das Potenzial, aufzuholen – insbesondere Finanzwerte, wo die Kombination aus höheren Zinssätzen und solider Kreditperformance eine Neubewertung des Sektors verursachen könnte.
Es ist auch zu beachten, dass trotz der jüngsten Bewegungen weiterhin eine erhebliche Bewertungslücke zwischen den beiden Stilen besteht. Abbildung 13 zeigt, dass auf dem Höhepunkt der Pandemie im Jahr 2020 das nachlaufende Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des MSCI World Value Index nur 42 % seines Äquivalents für Wachstumswerte betrug. Heute ist das KGV immer noch nur halb so hoch wie bei Wachstumsaktien, was dem Verhältnis entspricht, das 1999 vor dem Platzen der Technologieblase zu beobachten war, und weit unter dem Durchschnitt von 70 % über den Gesamtzeitraum liegt.
Auch die Attraktivität von Dividenden könnte Anleger zu Substanzwerten greifen lassen. Die durchschnittliche Dividendenrendite des Value-Index liegt über 3 %. Obwohl die Renditen von Staatsanleihen gestiegen sind, sind die Kupons festgeschrieben und bieten daher keinen Inflationsschutz, der potenziell in den Dividenden von Unternehmen zu finden ist.
Abbildung 13: Value ist ggü. Growth historisch günstig Bewertungslücke zwischen MSCI Value und Growth
Quelle: MSCI, Refinitiv Datastream, J.P. Morgan Asset Management. Daten zum 31. Mai 2022.
Die relative Performance hängt auch von den Aussichten für Wachstumswerte ab, die mit zwei anhaltenden Unwägbarkeiten konfrontiert sind. Zum einen sind die Gewinnaussichten von Unternehmen dieser Kategorie derzeit besonders schwer zu prognostizieren. Mit der Pandemie ging eine rasche Einführung von Technologien einher, was zu einer starken Verbesserung der Gewinnerwartungen führte (Abbildung 14). Aber einige Aktien – wie z. B. Streaming-Dienste – haben Schwierigkeiten, diese hohen Erwartungen zu erfüllen. Zweitens besteht weiterhin das Risiko, dass die Zinssätze weiter angehoben werden, wenn die Wirtschaftsaktivität und/oder die Inflation weiter steigen, was Wachstumswerte mit längerer Duration belasten könnte. Ein derartiger breiter Abverkauf bietet jedoch auch selektive Gelegenheiten, um gute Wachstumsunternehmen zu günstigeren Preisen aufzunehmen. Die Herausforderung für Anleger wird darin liegen, attraktive innovative Unternehmen zu finden, ohne zu viel zu zahlen.
Abbildung 14: Gewinnerwartungen bei Wachstumsaktien zogen während der Pandemie deutlich an Gewinn je Aktie für die nachfolgenden 12 Monate, MSCI World Value und Growth
Quelle: MSCI, Refinitiv Datastream, J.P. Morgan Asset Management. Daten zum 31. Mai 2022.
Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass wir uns durch die Kombination aus Pandemie und Ukrainekrieg in Richtung eines neuen Wachstums-, Inflations- und Zinsregimes bewegt haben. Das niedrige Wachstum, die niedrige Inflation und die niedrigen Zinssätze der letzten zehn Jahre, auf denen die phänomenale Outperformance der Wachstumswerte beruhte, dürften nun hinter uns liegen. In unserem zentralen Szenario, in dem das Wirtschaftswachstum ein gewisses Maß an Widerstandsfähigkeit zeigt, könnte sich die Outperformance von Substanzwerten noch weiter fortsetzen.