COVID-19 Krise: Die Starken werden stärker
Mark Ferguson
Während wir das Potenzial der langfristigen wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus abwägen, scheint es immer klarer zu werden, dass diese Krise strukturelle Veränderungen beschleunigen wird, die schon vor dem ersten Ausbruch zu beobachten waren. Außerdem glauben wir, dass die Unternehmensresilienz durch die Krise in den Vordergrund rücken wird, da Firmen aus verschiedenen Sektoren und Volkswirtschaften versuchen, diese Ausnahmesituation nicht nur zu überleben, sondern gestärkt daraus hervorzugehen.
In diesem Artikel beleuchten wir einige Trends, die wahrscheinlich an Dynamik gewinnen werden, je mehr das Thema Resilienz in den Fokus gerät: digitale Transformation und die Umstellung auf eine öffentliche Cloud, stärker diversifizierte Lieferketten und der beschleunigte Übergang zur Fabrikautomation. Darüber hinaus betrachten wir die Bereitschaft zum Geschäftsrisiko nach der COVID-19-Krise.
Digitale Transformation und die Umstellung auf eine öffentliche Cloud
Lange vor COVID-19 fokussierten sich unsere Analysten auf die Trends der digitalen Transformation (sowohl in der Wirtschaft als auch in der Gesellschaft insgesamt) und den Übergang zur öffentlichen Cloud. Dies waren auch Anlagethemen in vielen unserer Portfolios. Die Coronavirus-Krise hat die Vehemenz dieser Kräfte nur noch stärker hervorgehoben. Die Verwaltung von Standortlösungen (On-Premise) ist während einer Pandemie weniger wünschenswert, was den Übergang vom Desktop-zentrierten Modell (z. B. Anwendungen, die nur in einer Windows-Umgebung vorhanden sind) zu einer eher dezentralen IT-Architektur (Apps zu Hause auf mobilen Geräten und in der Cloud) entsprechend beschleunigt.
Unser Researchteam hat das Ausmaß der öffentlichen Cloud-Migration und ihr künftiges Wachstumspotenzial untersucht. Dabei entwickelten wir einen firmeneigenen Tracker, um die Informationstechnologie der Unternehmen, die Investitionen in öffentliche Cloud-Strukturen und die Cloud-Durchdringung der letzten acht Jahre zu beobachten (ABBILDUNG 1). In Bezug auf das vierte Quartal 2019, schätzen wir, dass die öffentliche Cloud eine Penetration von 20 % aufweist, was unserer Meinung nach einem Volumen von ca. 1 Bio. USD entspricht (unsere Schätzung des Marktes für Unternehmens-IT, der für eine öffentliche Cloud in Frage kommt). Wir prognostizieren für 2026 eine Marktdurchdringung von ca. 40 %, da die Nutzung der öffentlichen Cloud deutlich schneller wächst als die Nutzung älterer IT-Systeme.
Wir stehen erst am Anfang der öffentlichen Cloud, deren Nutzung weitaus schneller wächst als bei herkömmlichen IT-Systemen.
ABB. 1: PENETRATIONSRATE UND UMSATZENTWICKLUNG DER ÖFFENTLICHEN CLOUD
(Gesamtzielmarkt von 1 Bio. USD)
Wer dürfte von der Umstellung auf die öffentliche Cloud profitieren? Einige Namen liegen auf der Hand (die Amazons und Microsofts dieser Welt zum Beispiel), aber der Trend erfasst das gesamte Anlageuniversum. Im Halbleitersektor erobert Taiwan Semiconductor neue Marktanteile in der Herstellung der Chips, die die Computerintelligenz für diese Infrastruktur ermöglichen. ASML, ein führender Ausrüster von Halbleiterunternehmen, gehört ebenfalls zu den Nutznießern der Cloud-Migration.
Die digitale Transformation besitzt das Potenzial, im Laufe der Zeit etliche Unternehmen zu beeinflussen. Sie könnte den Übergang zu virtuellen Bankgeschäften beschleunigen und den Unternehmen zugute kommen, die ursprünglich rein digital konzipiert wurden und jetzt ganze Branchen revolutionieren. Sie begünstigt aber auch die etablierten Firmen, die in weiser Voraussicht frühzeitig in den Trend investiert haben. Außerdem setzen viele Unternehmen auf die Cloud, um sich in puncto Kosten und Service bei ihren Kunden zu profilieren; wir erwarten in Zukunft mehr davon.
Diversifizierte Lieferketten und ein erneuter Schub in der Fabrikautomation
Als sich die US-chinesischen Handelskonflikte in den letzten Jahren verschärften, begannen die Unternehmen mit einer Neubewertung ihrer Lieferketten, die stärker lokalisiert und weniger globalisiert sein sollten. Diese Diskussionen werden seit der Pandemie noch lebhafter geführt. Einige Unternehmen erwägen eine Diversifizierung ihrer Lieferanten, andere möchten die Produktion näher an den Endverbraucher verlegen (ein Trend, der als Onshoring bezeichnet wird).
Der Abzug der Lieferketten aus China wird wahrscheinlich mit neuen Risiken und Unsicherheiten verbunden sein. Chinas Infrastruktur (Stromversorgung, Verkehr, Arbeitskräfteangebot) ist generell in gutem Zustand, und Peking hat ausländische Direktinvestitionen im Wesentlichen unterstützt. Die Gewinne im verarbeitenden Gewerbe sind seit fast 20 Jahren gestiegen, was zum großen Teil den Einsparungen durch die Globalisierung zu verdanken war. Diese positive Entwicklung könnte sich rasch und substanziell umkehren, insbesondere wenn viele Unternehmen gleichzeitig ihre Lieferketten verlagern.
Fabrikautomation und Robotik sind ein struktureller Trend, der sich wahrscheinlich beschleunigen wird, wenn die Unternehmen ihre Lieferketten ins Inland verlegen bzw. diversifizieren und anschließend ihre Produktivität steigern möchten, um die höheren Kosten auszugleichen. Auch ein Fokus auf der betrieblichen Pandemieplanung dürfte die Automatisierung weiter vorantreiben – die Corona-Krise hat den zusätzlichen Nutzen mechanischer Lösungen als Ersatz für menschliche Arbeitskräfte deutlich gemacht. Von diesem Trend profitieren zum Beispiel Keyence Corp., ein japanischer Hersteller von Bildverarbeitungssystemen und Sensoren für Fabriken, und der Industrieriese Schneider Electric, führend in der digitalen Transformation von Systemen für Fabrikautomation und Energiemanagement.
Die Bereitschaft zum Geschäftsrisiko
Wie alle Krisen hat die COVID-19-Krise gezeigt, wie wichtig die Liquidität und Zahlungsfähigkeit für Unternehmen ist. Es stellte sich heraus, dass viele Unternehmensbilanzen den längeren Einnahmeausfällen nicht gewachsen waren. Da die Unternehmen nun widerstandsfähiger werden wollen, streben sie möglicherweise konservativere Bilanzen mit einer höheren Barkomponente an. Gleichzeitig könnte ein längerfristiges Niedrigzinsumfeld die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Unternehmen mehr Fremdkapital aufnehmen. Sofern die umfangreichen Konjunkturpakete (in der globalen Finanzkrise und zuletzt in der COVID-19-Krise) eine gewisse Erwartungshaltung geweckt haben, was künftige staatliche Rettungsaktionen angeht, könnten die Unternehmen zudem eine geringere Risikoscheu an den Tag legen.
Die Starken werden stärker
Nach den meisten Krisen tendieren qualitativ bessere Unternehmen dazu, ihren Wettbewerbern Marktanteile abzunehmen. Einfach ausgedrückt: Die Starken werden stärker und die Schwachen werden schwächer. Während die Unternehmen weiterhin versuchen, die Folgen der Pandemie zu bewältigen, werden sie sich darum bemühen, widerstandsfähiger zu werden, ihre Einnahmen zu steigern und ihre Gewinne zu schützen. Wie Andrew Grove uns in Erinnerung rief, werden die besten Unternehmen nicht nur überleben, sondern auch gedeihen.