Nach dem dramatischen Anstieg wird in diesem Jahr die Inflation ein äußerst wichtiger Faktor für die Allokation sein. Dieser Artikel ist der erste einer dreiteiligen Serie über die Ursachen der Inflation und welche Folgen sie für Anlegerinnen und Anleger hat. In dem heutigen Artikel befassen wir uns mit angebotsseitigen Problemen, die zu einem Preisanstieg zahlreicher Waren geführt haben, und der Frage, wie schnell sie abklingen werden. In den weiteren Artikeln werden wir darauf eingehen, warum der Arbeitsmarkt entscheidende Bedeutung für das Inflationsgeschehen hat. Und schließlich werden wir die Optionen prüfen, die zum Schutz der Investments zur Verfügung stehen.
Zu viel Geld für zu wenig Waren
Die steigenden Warenpreise haben maßgeblich zur Inflation beigetragen und befinden sich derzeit in vielen Industrieländern auf Rekordniveau (Abbildung 1). Die Erklärungen für diese Entwicklung lassen sich in drei Kategorien unterteilen:
1) die boomende Nachfrage, 2) ein dafür unzureichendes Angebot und 3) massive Transportprobleme, die Lieferungen langsamer und teurer gemacht haben.
Abbildung 1: Ausgewählte Komponenten der US-Gesamtinflation
% Veränderung zum Vorjahr
Quelle: BLS, Refinitiv Datastream, J.P. Morgan Asset Management. Die Kerninflation bei Waren schließt Nahrungsmittel und Energie aus. Daten zum 31. Dezember 2021.
Die steigende Nachfrage ist ein wichtiger Faktor für die starke Kerninflation bei Waren. Mobilitätseinschränkungen im Zusammenhang mit der Pandemie haben die Möglichkeit der Verbraucher für erlebnisorientierten Konsum eingeschränkt. Weil aber gleichzeitig die Haushaltseinkommen in einigen Ländern wie den USA durch Barauszahlungen und Aufbesserungen der Arbeitslosenunterstützung aufgebessert wurden, hatten die Haushalte mehr Geld für Anschaffungen zur Verfügung. Dank dieses Ausgabenschubs dürfte die Nachfrage auch im Jahr 2022 stark bleiben. Die Haushalte sitzen immer noch auf überschüssigen Ersparnissen aus der Pandemie: In den USA und im Vereinigten Königreich machen diese fast 10 % des Bruttoinlandsprodukts aus. Gleichzeitig haben steigende Aktienkurse und Immobilienpreise das Nettovermögen der Verbraucher gesteigert.
Auf welche Kennzahlen müssen wir achten?
Interessant ist die Aufteilung der US-Verbraucherausgaben auf Waren und Dienstleistungen. Da in den USA die Ausgaben für Dienstleistungen immer noch 3 % unter dem Trend vor der Pandemie liegen (im Vergleich zu den Warenausgaben, die jetzt 20 % über besagtem Trend liegen), gibt es deutlichen Spielraum für eine Verschiebung von Waren in Richtung Dienstleistungen (Abbildung 2). Damit insbesondere der internationale Reiseverkehr wieder Fahrt aufnehmen kann, sind allerdings beim Übergang der Covid-19-Pandemie zu einer endemischen Situation weitere Fortschritte erforderlich.
Abbildung 2: Verbraucherausgaben für Waren und Dienstleistungen in den USA
Index level, rebased to 100 in January 2018
Quelle: BEA, Refinitiv Datastream, J.P. Morgan Asset Management. Daten zum 31. Dezember 2021.
Produktionsdruck in Schwellenländern
Während die Nachfrage nach Waren in die Höhe schnellte, wurde die Fähigkeit asiatischer Hersteller, auf den Nachfrageschock zu reagieren, durch strengere pandemiebedingte Einschränkungen und eine langsamere Impfkampagne behindert. Während der Ausbreitung der Delta-Variante im vergangenen Sommer wurden in Malaysia und Indonesien landesweite Lockdowns verhängt, während Thailand und Vietnam Hochrisikogebiete abriegeln mussten. Jede dieser Nationen ist nun von ihrer „Null- Covid“-Politik abgerückt, was für 2022 auf eine gewisse Verbesserung hoffen lässt. Die Episode hat aber die Fragilität der globalen Lieferketten deutlich gemacht. Selbst wenn die globalen Exporte bei 95 % der Kapazität liegen, hat die Fertigungsindustrie ein großes Problem, wenn die fehlenden 5 % auf Komponenten entfallen, die für ihre Endprodukte unverzichtbar sind. Diese Problematik ist in der Automobilindustrie besonders akut. Da Asien für 75 % der weltweiten Halbleiterproduktion verantwortlich ist, wurde die Produktion von Kraftfahrzeugen in den USA und Europa sehr hart getroffen, was die Gebrauchtwagenpreise in die Höhe getrieben hat. Halbleiterunternehmen arbeiten derzeit daran, die Produktion und Kapazität zu erhöhen. Dennoch geben viele Automobilhersteller an, dass der Chipmangel mindestens bis zur ersten Hälfte dieses Jahres andauern wird.
China ist eines der letzten großen Länder, die aktiv eine „Null- Covid“-Strategie verfolgen. Bisher konnten lokale Ausbrüche rasch unter Kontrollegebracht werden, was aber mit erheblichen Beeinträchtigungen der Lieferketten einherging. Eine einmonatige Stilllegung des Hafens von Yantian im letzten Sommer verursachte ähnliche Verzögerungen wie die Blockade des Suezkanals. Dieselben Folgen hatte eine zweiwöchige Schließung des Ningbo-Zhousha-Hafens - zweitgrößter chinesischer Umschlagplatz - nachdem ein Arbeiter positiv auf Covid-19 getestet worden war. Angesichts des stark erhöhten Infektionsrisikos bei Omikron, der Unsicherheit über die Wirksamkeit des Sinovac-Impfstoffs und der Anzeichen dafür, dass Peking diese Strategie mindestens bis zum Ende der Olympischen Winterspiele weiter verfolgen wird, können auch noch in den nächsten Monaten Lieferkettenunterbrechungen auftreten.
Auf welche Kennzahlen müssen wir achten?
Es gilt, die Einkaufsmanager-Indizes (EMIs) der Fertigungsindustrie in Asien, mit Schwerpunkt auf Produktionskapazitäten und Zulieferzeiten (Abbildung 3) im Auge zu behalten. Auch wenn die Lieferzeiten derzeit noch zu lange sind, sollten sie im Allgemeinen besser werden. Gleichzeitig hat die Produktion in letzter Zeit wieder an Fahrt aufgenommen. Es bleibt offen, wie anfällig diese Kennzahlen gegenüber der Omikron- Variante sind.
Abbildung 3: EMI-Heatmap der Fertigungsindustrie in Asien
Indexwert
Quelle: Bloomberg, Markit, J.P. Morgan Asset Management. Ein Wert von 50 signalisiert, dass die Wirtschaftstätigkeit weder expandiert noch schrumpft, ein höherer Wert als 50 signalisiert eine Expansion. Eine geringerer Wert für Zulieferzeiten weist auf längere Verzögerungen hin. Daten zum 31. Dezember 2021.
Globale Transportprobleme
Waren, deren Produktion erfolgreich abgeschlossen werden konnte, sind allerdings weiterhin mit erheblichen Transportproblemen konfrontiert, die ihre Reise zu den Verbrauchern sowohl langsamer als auch teurer machen. Die ungleichen Zeitverläufe bei nationalen Lockdowns und Wiedereröffnungen haben weltweit zu einem Ungleichgewicht im Seefrachtverkehr geführt, wodurch die Tarife auf den Ost- West-Routen gegenüber den Zeiten vor der Pandemie um bis auf das Siebenfache angestiegen sind (Abbildung 4). Die Kapazitäten im weltweiten Seefrachtverkehr waren bereits vor der Pandemie ziemlich knapp, und auch wenn sich die Neuaufträge für den Bau von Containerschiffen stark erhöht haben, werden die zusätzlichen Kapazitäten voraussichtlich erst ab 2023 verfügbar werden.
Auch beim Transport über Land gibt es offenkundige Probleme. In den USA entfallen auf die benachbarten Häfen Los Angeles und Long Beach fast 40 % der Warenimporte des Landes, große Staus haben aber dazu geführt, dass Schiffe durchschnittlich zwei bis drei Wochen warten müssen, bevor sie einen Liegeplatz erhalten. In den Hafen stapeln sich leere Container, und es fehlen LKW-Fahrer für die letzten Auslieferungsstrecken, weshalb der Abbau der Rückstaus für die US-Regierung politische Priorität erlangt hat.
Auf welche Kennzahlen müssen wir achten?
Zwei Kennzahlen werden wir besonders genau beobachten: 1) die Frachttarife auf wichtigen Ost-West-Routen und 2) die Anzahl der in Los Angeles und Long Beach auf Reede liegenden Containerschiffe. Nachdem diese Werte im Herbst ihren Höchststand erreicht haben, sind mittlerweile Zeichen für eine Stabilisierung zu sehen, jedoch auf einem Niveau, das nach wie vor auf eine erhebliche Belastung hinweist.
Abbildung 4: Globale Frachttarife nach Route
US-Dollar pro 40-Fuß-Container, indiziert auf 100 im Januar 2015
Quelle: Bloomberg, Drewry World Container Index, J.P. Morgan Asset Management. Daten zum 31. Dezember 2021.
Der Einfluss von Omikron
Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts zieht die Omikron-Welle schnell über Europa und die USA hinweg, ist jedoch noch nicht wirklich in Asien angekommen. Daher bleiben die makroökonomischen Auswirkungen der jüngsten Mutation zunächst ungewiss. In unserem Basisszenario gehen wir davon aus, dass die aktuelle Omikron-Variante den Druck auf die Lieferketten sowohl nachfrage- als auch angebotsseitig weiter verstärken wird. Hinsichtlich der Nachfrage sollten die Auswirkungen nicht so massiv ausfallen wie in den Jahren 2020 und 2021, angesichts gezielterer fiskalpolitischer Stützungen und des Umstands, dass die Haushalte den Großteil ihrer Anschaffungen bereits vorgenommen haben. Allerdings würden größere Mobilitätseinschränkungen den Umstieg von Waren- zu Dienstleistungsausgaben verzögern. Hinsichtlich des Angebots würden pandemiebedingte Beeinträchtigungen weitere Auswirkungen auf die Produktionskapazitäten Asiens zeigen, insbesondere in Ländern mit niedrigeren Impfquoten oder weniger wirksamen Impfstoffen.
Fazit
Wir gehen davon aus, dass sich die Lieferkettenprobleme im Jahr 2022 fortsetzen, wobei deutliche Verbesserungen erst ab der zweiten Jahreshälfte zu erwarten sind. Die Probleme wurden sowohl durch die übermäßige Nachfrage als auch durch Angebotsengpässe verursacht, wodurch die Anfälligkeit des Just-in-Time-Ansatzes in der globalen Fertigung zutage getreten ist. Die Nachfrage wird auch in diesem Jahr robust bleiben, um den Aufwärtsdruck bei den Warenpreisen zu reduzieren, müsste es aber zu einem Umstieg von Waren- zu Dienstleistungsausgaben kommen. Ob die Inflation dann wieder unerbittlich auf niedrigem Niveau verharrt, wie es im letzten Zyklus der Fall war, hängt vom Arbeitsmarkt ab. Auf dieses Thema werden wir in der nächsten Woche eingehen.
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